Der Teufel von New York
vielleicht Türken. Die bulligen Kerle waren wahrscheinlich imstande, einen Mann zu töten, noch ehe dieser das überhaupt bemerkte. Sie wirkten jedenfalls schon von weitem gefährlich. Jackie war ein begeisterterBoxfan, was bei den Zeitungsausrufern in etwa so verbreitet war wie das Atmen, und so kam er zu dem Schluss, dass diese beiden Rowdys auf ihren Boss warteten, Abel Cohen, genannt »der Hammer«, der Jude aus der Chatham Street. Er war der einzige Boxer, der reich genug war, drei Golems für eine Kutsche einzustellen, und er hatte wenige Stunden zuvor einen großen Boxkampf gewonnen.
»Ham Sie den Hammer schon mal kämpfen sehn?« Alle Neune lag auf dem Rücken, auf die Ellbogen gestützt, und ließ die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen wandern. »Der hat den schnellsten Hüftwurf, den ich je gelinzt hab, und wenn der dir Mackes steckt, dass du zu Boden gehst, da knackt es dir ganz schön die Nüsse. Verzeihung, Miss Underhill«, setzte er hinzu.
Springteufel und die Jungen, die ihn begleitet hatten – hier schrie ein Chor von herrlich unplausibler Größe: »Ich war auch dabei!« – versteckten sich hinter einem Stapel Fässer am Eingang einer Seitengasse, um zu warten, bis der berühmte Mann wieder herauskam. Aber als dann einer kam, war es nur ein Bediensteter aus dem Haus, der ein Bündel auf den Armen trug. Er legte es auf dem Boden der Kutsche ab und kehrte wieder ins Haus zurück.
Dieses Bündel enthielt ohne Zweifel das gewonnene Preisgeld. An jenem Abend hatte der jüdische Boxer seinen Konkurrenten Daniel O’Kirkney, genannt »das Rasiermesser«, besiegt, und das nach nur zweiundfünfzig Runden . Dafür gab es einen Heldenlohn. Es war klar, diese Beute mussten sie sich schnappen.
Giftzahn warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Wir wollten ja nur’n bisschen was davon klemmen. So ’ne Art Christensteuer«, fügte er erläuternd hinzu, denn er war sich bewusst, wollte er nicht die ganze Schuld auf sich nehmen, musste Gott auch ein bisschen mit drinhängen.
Springteufel – und wahrscheinlich auch Giftzahn und Zunder, denn deren Erzählung hatte, wie eine gesprungene Glocke, den Ton der Wahrheit an sich – näherten sich also der geparkten Kutsche, nachdem sie unauffällig eine Runde um den Block gedrehthatten, um sich von einer kleinen Querstraße aus anzuschleichen. Die Größeren blieben etwas zurück, weil sie fürchteten, entdeckt zu werden. Ein kleiner Junge von gerade mal sechs Jahren, selbst für einen Zeitungsjungen ein beeindruckend junges Alter, den sie Dandy nannten, weil er immer darauf beharrte, sich neue Socken zu kaufen, wenn die alten löchrig waren, wurde auserwählt, sich aus der Nähe ein Bild der Lage zu machen. Er schlich sich auf Zehenspitzen, leicht wie eine Elfe, zur straßenseitigen Kutschentür und warf einen Blick in das Bündel.
»Als er wieder zurückkam, sah er ganz malad aus.« Zunder schüttelte den Kopf, eine resignierte, mühsam gespielte Tapferkeit in seinem eigentümlich erwachsenen Blick.
»Hat er euch gesagt, wovon ihm übel geworden ist?«, fragte ich.
Hatte er nicht. Der plötzlich unwohle Dandy hatte sich geweigert zu erzählen, was er in dem Bündel vorgefunden hatte. Das war nicht gerade ein Zeichen von großem Mut; er musste sich allerhand anhören, wurde angezischt und gekniffen, bis Springteufel beschloss, selbst nachschauen zu gehen. Vielleicht war es ja so viel Geld, dass Dandy es gar nicht hatte fassen können, oder irgendetwas anderes Wertvolles; wie dem auch sei, er wollte jetzt um jeden Preis wissen, was darinnen war. Leise wie Zigarrenrauch schlich er sich zur Kutschentür. Und hatte schon die Hand auf dem Stoff liegen.
In dem Augenblick kam der Mann mit der schwarzen Kapuze aus dem Freudenhaus, wollte in den Wagen steigen und schaute durchs andere Fenster ins Wageninnere.
Der Mann mit der schwarzen Kapuze stand unter einer Straßenlampe und sah Springteufel direkt an. Der Rücken kerzengerade, der Blick unergründlich. Ein gesichtsloses Monster, die Leere eines Alptraums, an den man sich nicht mehr erinnern kann, zugleich aber auch eine ganz handfeste menschliche Bedrohung. Egal, ob sie in jener fatalen Nacht nun dabei gewesen sein wollten oder nicht, ein jeder der im Theater anwesenden Jungen schwor, diesen Mann irgendwann später wiedergesehen zuhaben. Meist irgendwo im Dunkeln, in einer Gasse, einer Kneipe. In ihren Träumen. Oder ihren Vätern. Zwei von ihnen behaupteten, es könnte sehr gut sein, dass der
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