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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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Bühnenrand vor, wo die ersten Stuhlreihen begannen. Ich folgte Mercy die Stufen hinunter. Alle Neune glühte wie ein Glühwürmchen; er hatte sich oben hingesetzt und angefangen, seine Brille zu putzen. Als ich Giftzahn gegenüberstand, sah ich, dass er eine Narbe hatte, die wie der Zahn einer Schlange von der Nasenwurzel bis über die Oberlippe lief. Er sah aus, als könnte er tatsächlich jeden Moment anfangen, Gift zu verspritzen.
    »Wir mögen Miss Underhill sehr«, sagte er in kaltem Ton. »Aber Schucker können wir nicht leiden. Dazu haben wir auch gar keinen Grund.«
    »Ich heiße Timothy Wilde. Und ich kann die Fürsorgeanstalt nicht leiden. Schon mal einem Schucker die Tatze gedrückt, Giftzahn?«,fragte ich und streckte ihm in aller Aufrichtigkeit die Hand hin. Eine flattrige Welle ging durch die Schar, wie wenn ein Eichhörnchen durch dürres Gestrüpp läuft.
    »Wartest du auf ein Zeichen Gottes, Giftzahn?«, fragte Mercy amüsiert.
    »Hier bin ich, herabgestiegen nach Gotham, um ein Wörtchen mit Giftzahn zu reden«, dröhnte Alle Neune in salbungsvollem Ton von den oberen Rängen zu uns herunter. »Schüttel diesem Schucker die Tatze, er ist ein grandiger Kerl. Und fernerhin sollst du Alle Neune ein paar Zigaretten kaufen. Du hast gestern Nacht haushoch verloren, im Craps bist du ’n völliger Versager.«
    Hinter mir brachen sie in Gelächter aus. Alle Neune war ganz offensichtlich der Stimmenimitator des Hauses. Giftzahn zog die weißnarbige Seite seiner Lippe zu einem verträglichen Lächeln in die Höhe und schüttelte mir die Hand, so fest ein Mann es nur vermochte.
    »Sie sind ja nicht sehr zimperlich in Ihrer Freundeswahl, wenn Sie einem Zeitungsausrufer die Hand schütteln«, sagte er langsam.
    »Immerhin bin ich von einem Zeitungsausrufer noch nie hintergangen worden.«
    »Ihr Burschen, seid ihr bereit, uns in einer wichtigen Angelegenheit alles zu erzählen, was ihr wisst?«, rief Mercy in den Raum hinein.
    Wie von Zauberhand tauchte hinter ihr ein Stuhl auf, und Alle Neune bat sie mit ritterlicher Geste, Platz zu nehmen. »Miss Underhill und der Schucker wollen Wind haben über den Baal mit der schogeren Kapuze, also verkappt ihnen was, Leute«, rief er.
    Da schlug die Stimmung etwas um.
    Es gab ein bisschen Protestgeschrei, und der eine oder andere von den Kleineren wurde etwas blasser um die Nase. Doch schließlich stand ich hinter Mercys Stuhl, die Hände um die Rückenlehne gelegt, während die Älteren und Hartgesottenen unter ihnen uns ihre Geschichte erzählten. Und was für eine Geschichte.Ich würde es gern in ihrer eigenen Sprache wiedergeben, doch über ein Dutzend Zeitungsjungen riefen wild durcheinander, es gab wüste Flüche und manchmal wilden Widerspruch, so dass der Bericht revidiert werden musste. Ich musste meine ganze Konzentration aufbringen, um alles zu verstehen. Ganz zu schweigen von der Mühe, die es mich kostete, das alles zu glauben. Hier folgt nun, was sie mir erzählten.
    Es war einmal ein Zeitungsausrufer namens Jackie in den Five Points, der auf den Spitznamen Springteufel hörte. Seit er fünf Jahre alt war, konnte er jede Zeitung an den Mann bringen, ganz gleich, welche Meldung in den Schlagzeilen stand. Zeitungsverkäufer lauern auf Katastrophen ähnlich wie Händler Ausschau halten, ob eines ihrer Schiffe am Horizont auftaucht und sicher den Hafen erreicht. Nicht so Springteufel. Er kaufte mehr Exemplare als jeder andere und brachte sie alle an den Mann, selbst wenn in der Schlagzeile stand, der Bau eines Opernhauses sei in Planung oder ein ausländischer Adliger sei im Schlaf gestorben. Er war beliebt. An seinem dreizehnten Geburtstag, so ungefähr – denn er wußte nicht genau, wann er Geburtstag hatte –, war er reich. Als er sich einige Zeit später gerade auf dem Weg zu seinem Lieblingskaffeehaus befand, wo er zum Abendessen Vanillecremekuchen und ein paar Gläser Rum zu sich nehmen wollte, fiel ihm etwas Merkwürdiges auf.
    »Der Springteufel war nämlich kein Tölpel«, sagte Giftzahn mit Nachdruck. »Der war kochem.«
    Springteufel fiel auf, dass vor einem Freudenhaus eine Kutsche mit größerer Besatzung als gewöhnlich stand. Wie zu erwarten, gab es einen Kutscher, aber da waren auch noch zwei andere Männer. Die beiden waren groß wie Häuser, aber dabei flink und leichtfüßig. Sie verbargen zwar ihre Gesichter, aber man konnte sehen, dass sie böse, listige Augen hatten, und obwohl es dunkel war, dachte Jackie bei sich, sie wären

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