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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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sie das Gefühl haben, er wolle sie auch nur eines Krümels oder einer Bohnenranke berauben.
    Seltsamer Widerspruch!
    New York Herald, Sommer 1845.
    Wir rannten Richtung Süden, weg von den Five Points, wo die Schwarzen und Iren zu arm sind, um sich auch nur im Geringsten um ihr Zusammenleben zu scheren, hin zum Rand der weiten, verbrannten Fläche, wo das Feuer gewütet hatte. Alles um mich herum war seltsam still. Die wenigen Menschen, die ich zu Gesicht bekam, standen mit verbissenen Mienen über ihren kleinen Flickschusterstand oder ihren giftgrünen Apfelkarren gebeugt und kümmerten sich verzweifelt um ihren eigenen Kram. Eigentlich hätten wir Iren begegnen müssen, die sich lautstark mit Hausierern in den Haaren lagen, Juden, die Schürzen verkauften, einem Indianer, der Felle verhökerte, irgendjemandem, nicht nur den zum lebenden Inventar gehörenden dösenden Schweinen. Selbst meine Stiefeltritte waren viel zu laut, nachdem sie die Jungen einen halben Block abgehängt hatten. Ich war gerade in der Nassau Street an einem halben Gebäude mit ölig verrußter Fassade vorbeigelaufen, dann an einem zweiten und einem dritten, und spürte eine Spannung in der Luft, als habe jemand den Finger am Abzug einer Pistole, und da wusste ich, gleich war ich da.
    Ich hätte mit geschlossenen Augen sagen können, worum es bei der Schlägerei ging, denn es war immer dasselbe Lied. Diese Händel sprießen in unserer Stadt wie Pilze aus dem Boden. Es geht um Gott, ums Geld, um Arbeit, um Hilflosigkeit. Und ganz gleich, worum es angeblich geht, eigentlich geht es um gar nichts. Aber ich gebe bereitwillig zu, dass ich aschfahl wurde, als ich mein Ziel erreichte. Denn man hatte mich falsch informiert.
    Sie waren überhaupt nicht dabei, einen Schwarzen zu hängen.
    »Siehst du das? Das ist der Preis, den du zahlen musst für deinen elenden Geiz !«, schrie ein grotesk betrunkener Ire einen eingeschüchterten kleinen Amerikaner in Schwalbenschwanz und gelben Reithosen an. »Das Leben eines Niggers ist nicht viel wert, zugegeben, aber wenn er dich dazu bringt, mal hinzuschauen und aufzumerken, dann hat er einem größeren Zweck gedient, als man bei seiner Hautfarbe hätte meinen sollen!«
    Der da so herumschrie, war ein Riese – schwarzes Haar, tiefe Falten im Gesicht und eine dunkle, von unserer gnadenlosen Augustsonne verbrannte Gesichtsfarbe. Sein Hemd hing zerfetzt und schmutzig von seinen bulligen Schultern, und er trug keine Weste, nur eine graue Nankinghose, die schon mehr als eine Nacht draußen verbracht hatte. Ich brauchte ihn nur anzuschauen, um einiges über ihn zu wissen: Er hatte gerade mal genug Geld gehabt für den Whiskey, den er am Morgen getrunken hatte. Keinen Cent darüber hinaus. Seinem Mund war anzusehen, dass ihm etwas niederschmetternd Unfaires widerfahren war. Seine riesigen Pranken waren vernarbt, und wenn ich mir noch dazu seine Haut ansah, kam ich zu dem Schluss, dass er sich seinen letzten Drink entweder mit der Arbeit beim Bau verdient hatte oder mit Steineschleppen in den vom Feuer zerstörten Bezirken.
    Eine dieser Hände hielt mitten im grellen, hochsommerlichen Tageslicht eine Fackel.
    Zwei seiner Kumpane standen wankend bei ihm, sie waren ebenfalls sturzbetrunken und mussten ihre Aufmerksamkeitganz aufs Schwitzen und Stehen konzentrieren. Fürs Erste waren sie keine Gefahr. Und gleich hinter ihnen, angebunden an einen einsamen Stützpfahl des unvollendeten Gebäudes, stand mein farbiger Freund Julius Carpenter, Angestellter in Nick’s Austernkeller aus der Zeit, als es diesen noch gab. Rund um seine Füße hatte man Reisig aufgestapelt. Ich schnappte nach Luft und blieb abrupt stehen, direkt vor dem Bastard, der die Szene arrangiert hatte. Ich nahm es Julius nicht übel, dass er mich nicht grüßte, denn sie hatten ihm eine dreckige Steckrübe in den Mund geschoben, in die sie ein Loch gebohrt hatten, um sie mit Hilfe einer Schnur festzubinden. Man hatte ihn so fest gefesselt, dass er sich nicht rühren konnte. Daher zogen seine Augen alle nutzlose Kraft von den Händen und den zum Zerreißen gespannten Lippen ab und schickten sie durch die zwei Pupillen, deren Blick sich mir in die Brust bohrte.
    Den Pfahl und die Fackel hätte ich auf jeden Fall unverzeihlich gefunden. Letztlich bin ich kein Mensch, der leicht verzeiht. Bin ich nie gewesen. Aber Julius kann den Unterschied zwischen zwanzig verschiedenen Austernsorten herausschmecken, selbst wenn er sie ohne die jeweiligen Schalen vor sich

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