Der Teufelsfürst
Talg, Seidenstoffe aus China, Weine aus Byzanz und Gewürze aus Turkestan sowie die modernen Schusswaffen ihren Weg in das deutsche Reich. Im Gegenzug exportierten die deutschen Händler Tuche, Leinwand, Salpeter, Schwefel, Eisenwaren, Bier und Mehl bis nach Riga und Nowgorod. Aber trotz dieses Wissens war sie überwältigt von dem Gedränge, das auf dem Wasser und am Ufer des Flusses herrschte. Nicht nur ihr eigener Wagentrupp schlängelte sich den Weg entlang; auch Pilger, Bauern, reiche Kaufleute und sogar ein Wagen voller Nonnen steuerte auf die mächtige Bischofsstadt zu, die ihren immensen Reichtum dem Salzhandel verdankte. Immer wieder kamen den Fahrenden Säumer entgegen – Träger, die solch gewaltige Salzladungen auf ihren Rücken transportierten, dass Zehra sich wunderte, wieso sie nicht zusammenbrachen. »Ach, das sind doch Halsabschneider!«, hörte sie jemanden dicht vor sich ausrufen. Vor Kurzem hatte sich der Zug der Sinti mit einer Gruppe von norddeutschen Händlern vermischt, die sich lauthals über den Stapelzwang der Stadt beschwerten. Je näher sie den Mauern kamen, desto heftiger wurden die Klagen. Und ein trauriges Lächeln spielte um Zehras Mundwinkel, als einer der Männer brummte: »Als ob es nicht genug wäre, dass die Stapelordnung vorschreibt, dass man seine Waren mindestens eine Woche auf dem Markt der Stadt anbieten muss, ehe man weiterziehen darf«, schimpfte er. »Die Wagen dürfen nur von Knechten der Stadt entladen werden, und dann muss man auch noch Lagergebühren bezahlen!« Die Empörung war deutlich in dem rundwangigen Gesicht zu lesen, als er sich zu seinem Hintermann umwandte. »Und wehe dem, der sich von seinen mitgebrachten Vorräten ernährt! Die Strafe ist dreimal so hoch wie der Preis für eine anständige Herberge.«
Als sie Zehras Blick auf sich spürten, trieben sie ihre Tiere an, um möglichst schnell Abstand zwischen sich und die Zigeuner zu bringen, die sie immer wieder misstrauisch beäugten. Zehra, die an diesem Tag einen Wagen lenken durfte, sah ihnen mit einer Mischung aus Wehmut und Neid hinterher.
Ob sie wussten, wie nichtig ihre Sorgen waren? Als das Zugtier vor ihrem Karren schnaubend den Kopf warf und Anstalten machte, stehen zu bleiben, schnalzte sie mit der Zunge und tippte ihm mit der langen Peitsche auf den Rücken. Wenn sie doch nur wüsste, wohin die Reise noch gehen sollte! Seit dem geheimen Treffen in der Nähe von Regensburg hüllte der Herzog sich in Schweigen. In den letzten drei Wochen hatte sie ihn kaum zu Gesicht bekommen. Offenbar nahmen seine Beziehungen ab, je weiter sie nach Osten kamen. Denn inzwischen nächtigte auch er selbst häufig im Lager der Sinti, außerhalb der Städte und Siedlungen. Oder aber – und das vermutete sie eher – er fürchtete eine Entdeckung des Abkommens, das er mit den Männern in der Nähe von Regensburg getroffen hatte. Immer noch rätselte sie, weshalb man ihnen mit dem Galgen drohen konnte. Was verbarg Herzog Michel vor ihnen? Gewiss war nur, dass es etwas Ungeheuerliches sein musste. Vielleicht war der Grund der Richtungsänderung aber auch ein ganz anderer. Einige der Sinti behaupteten, dass Michel Mitglieder seiner Sippe freikaufen wollte, die vor zwei Jahren von Bulgarien in die Walachei verschleppt worden waren. Wenn das stimmte, dachte Zehra beklommen, dann würden sie schon bald an die Grenze des schrecklichen Osmanischen Reiches gelangen – des Landes, aus dem ihre Großmutter geflohen war! Sie kniff die Lippen zusammen und verdrängte alle Erinnerungen an ihr altes Leben, die der Gedanke an ihre Großmutter unweigerlich mit sich brachte. Seit der Züchtigung durch Michel hatte sie beschlossen, sich nicht mehr mit dem zu quälen, was nicht zu ändern war. Denn auch wenn ihr Los ihr grausam erschien, und die Sorge um Utz ihr immer öfter den Schlaf raubte, war sie inzwischen sicher, dass Gott ihr eine Prüfung auferlegt hatte.
Eine Prüfung, die einzig und allein durch Fügsamkeit zu bestehen war. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Straße und begann, die Meilensteine zu zählen, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen.
Nach einem halben Dutzend dieser Markierungen tauchten schließlich die Mauern der Bischofsstadt vor ihnen auf, über der eine mächtige Feste thronte. Auf deren Türmen flatterten zahlreiche Fahnen, welche – so nahm Zehra an – das Wappen des Bischofs trugen. Die vielen spitzen Dächer der Türme und Kirchen verliehen der Stadt den Anschein von maßlosem
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