Der Teufelsfürst
wieherte.
»Vorsicht!«, brummte der Sinti. Zehra schlug beschämt die Augen nieder, da auch Michel sie wegen ihrer Unachtsamkeit böse anfunkelte.
Als sie sich dem Palast näherten, fing es an zu regnen.
Wenngleich das Weihnachtsfest noch über zwei Monate entfernt war, vermischten sich bereits erste Schneeflocken mit den Regentropfen. Und nicht nur Zehra zog frierend die Schultern hoch und beeilte sich, die schützenden Dächer zu erreichen. Wie bei ihren früheren Besuchen in dem düsteren Fürstensitz überfiel sie ein Gefühl der Beklemmung, sobald sich das schwere Tor hinter ihnen schloss. Nur wenige, fast kahle Bäume lockerten die strenge Anordnung der Gebäude auf, und selbst die Glocke der kleinen Kirche klang dumpf und Unheil verkündend. Anders als zuvor blickten ihnen an diesem Tag grimmige Gesichter unter Turbanen entgegen. Zehra bekam es mit der Angst zu tun, als ihr bewusst wurde, dass es sich bei den Wachen um Türken handeln musste. Türken, deren Spione sie dank ihrer Sprachkenntnisse entlarvt hatte!
Männer, die bei Feinden ihres Sultans nicht lange fackelten – selbst wenn es sich um Frauen oder Kinder handelte! Bevor ihr all die Erzählungen ihrer Großmutter auch den letzten Rest Mut rauben konnten, wurden sie von einer Art Haushofmeister empfangen und in eine überheizte Halle geführt. Zahllose Kerzen sorgten dafür, dass der fensterlose Raum taghell erleuchtet war. Aber es waren weder die erstickende Hitze noch die auch hier anwesenden Osmanen, welche Zehra zurückprallen ließen, als sei sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Vielmehr war es der junge Mann, der auf einem erhöhten Stuhl thronte und bei ihrem Eintreten gelangweilt den Blick hob. Sie stieß einen keuchenden Laut aus, der zum Glück im Geräusch raschelnder Gewänder unterging. Das konnte nicht sein! Sie senkte den Kopf und starrte einige Atemzüge lang auf den abgetretenen Steinboden, ehe sie es wagte, erneut in die Richtung des Woiwoden zu schielen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Zum ersten Mal seit dem schrecklichsten Tag ihres Lebens nahm sie wieder eine Farbe wahr! Der junge Fürst war von einem tiefen Dunkelviolett umgeben, das – wie bei ihrem ersten Hinsehen – nach wenigen Momenten verblasste. Nur mit Mühe widerstand sie der Versuchung, sich die Augen zu reiben. Wie war das möglich? Konnte sie ihrer Wahrnehmung trauen? Oder spielten ihre Sinne ihr einen Streich in dieser viel zu warmen Halle?
Sie kam nicht dazu, sich weiter den Kopf zu zerbrechen, da Michel und seine Begleiter sich tief vor dem jungen Mann verneigten. Hastig folgte sie ihrem Beispiel, und als der Woiwode sie schließlich mit einer erstaunlich tiefen Stimme begrüßte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. »Man hat mir gesagt, warum Ihr hier seid«, sagte der Walache und lud den Herzog ein näherzutreten. Wie so viele Bewohner dieser Landstriche, sprach auch er ein leicht singendes Deutsch. Vor dem Thron angekommen, erwiderte Michel: »Wir sind hier, um Mitglieder unserer Sippe freizukaufen, welche dem Kloster der Heiligen Jungfrau in Tismana geschenkt wurden.« Er schien einen Augenblick nachzudenken, bevor er hinzufügte: »Ich biete einen Preis von 100 rheinischen Gulden.« Der junge Walache versuchte ein Lächeln, das allerdings misslang. »Bitte haltet mich nicht zum Narren«, gab er zurück und kam mit geschmeidigen, aber dennoch kraftvollen Bewegungen auf die Beine. Als er sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, sah Zehra, dass er zwar nicht besonders hochgewachsen, aber breit gebaut war. In einem schmalen Gesicht prangte eine scharfe Nase unter einem Paar durchdringender Augen, die von schwarzen Brauen betont wurden. Dichte, schwarze Locken kräuselten sich unter einer pelzbesetzten Kopfbedeckung hervor, und ein Bart umrahmte seinen Mund. »Ich weiß sehr wohl, wie hoch der Preis für einen guten Arbeitssklaven ist«, versetzte der Woiwode. »Und, wenn ich nicht irre, handelt es sich bei den Sklaven, von denen ihr redet, um dreihundert Familien.« Sein Ton war plötzlich drohend. Zehra erschrak, als sie sah, dass Michel den Kopf einzog. Der Herzog hatte Angst vor dem Fürsten! Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass ihre Beine sich noch wackeliger anfühlten. »300 Gulden, keinen Pfennig weniger«, sagte der junge Woiwode. »Bezahlt sofort, dann könnt Ihr auch sofort aufbrechen und sie mitnehmen.«
Nein, hätte Zehra um ein Haar ausgerufen. Noch nicht! Aber die Worte blieben ihr vor Furcht im Hals stecken, als Michel
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