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Der Teufelsfürst

Der Teufelsfürst

Titel: Der Teufelsfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Herzen und es fühlte sich an, als lasteten Zentner auf ihren Schultern. Während sie sich die Stiefel band, vertrieb sie energisch die Erinnerung an ihre Großmutter, da diese untrennbar mit Bildern ihres Vaters verbunden war. Eine unendliche Schwere hatte sich ihres Gemüts bemächtigt. Sie fürchtete, nie wieder spüren zu dürfen, was Leichtigkeit und Freude waren. Während sie gegen das niederdrückende Gefühl ankämpfte, wünschte sie sich die Fähigkeit, die Zeit umzukehren. Wenn sie sich doch nur von ihrem Vater hätte verabschieden können! Wenn sie doch nur die Fremdheit auslöschen könnte, die sich unaufhaltsam zwischen sie gestohlen hatte, sobald sich ihre kindlichen Formen in die einer Frau verwandelt hatten! Wenn es ihr doch nur möglich gewesen wäre, all das auszusprechen, was sie und ihr Vater in letzter Zeit nur noch ohne Worte hatten sagen können! Ihre Augen brannten, doch ihre Tränen waren versiegt. Mit beinahe übermenschlicher Anstrengung zwang sie sich, aufzustehen und ihre Kammer zu verlassen, um bei dem Apotheker die Zutaten abzuholen, die sie bestellt hatte.
    Wenn sie sich nicht mit anderen Dingen beschäftigte, würde sie in den bodenlosen Abgrund stürzen, der so bedrohlich vor ihr gähnte.
    Nachdem sie sich die mit Kaninchenfell gefütterte Heuke übergeworfen hatte, griff sie nach einem Korb, trat auf den Flur hinaus und machte sich auf den Weg nach unten. Dort herrschte reges und lautstarkes Treiben, da das Geschäftsleben keine Rücksicht auf den Tod nahm. Mit gesenktem Kopf huschte sie durch die Gewölbehalle im Erdgeschoss, von der aus ein Durchgang in den Hof führte. Das riesige Doppeltor stand weit offen. Mehrere Karren warteten darauf, von den Knechten be- oder entladen zu werden. Läufer, Fuhrleute und Handelsdiener nahmen von Utz oder Martin Anweisungen entgegen. Der beißende Geruch von eingesalzenem Hering lag in der Luft. Mit gerümpfter Nase drückte Zehra sich an den Fässern aus Dänemark vorbei, umrundete Baumwoll- und Barchentballen und wich mehreren Sackträgern aus. Sie wollte sich gerade von ihrem Bruder verabschieden, als das Geschrei vor dem Tor abrupt verstummte und etliche Münder sich ungläubig öffneten. Der eine oder andere Arm zuckte in die Höhe, um auf etwas zu deuten, das Zehra von ihrem Standpunkt aus nicht sehen konnte. »Was ist los?«, tuschelte jemand weiter vorn, aber sein Nebenmann hob unwissend die Schultern. »Sie kommen hierher«, hörte Zehra einen der Fuhrmänner auf der Straße sagen. »Sie kommen tatsächlich hierher!« Entgegen aller Niedergeschlagenheit regte sich Neugier in ihr. Was mochte es sein, das die Fuhrleute so mit Staunen erfüllte? Ihre Frage wurde beantwortet, als kein Dutzend Herzschläge später eine Gruppe uniformierter Stadtsoldaten auftauchte, in deren Mitte ein Schwarzgekleideter eine grimmige Miene zur Schau stellte. Seine Augen tasteten in Windeseile die versammelten Männer und Frauen ab und blieben mit einem harten Ausdruck auf Zehra haften. »Ah, das trifft sich gut«, posaunte er, sobald die Gruppe der Wächter zum Stillstand gekommen war. »Das ist sie.« Seine Rechte schoss nach vorn, um anklagend auf Zehra zu zeigen. »Das ist doch die Tochter des Hauses, oder?«, fragte er kühl und warf einen Blick über die Schulter zurück. Dort, inmitten des Kreises Bewaffneter, stand eine kleinere Gestalt, die Zehra mit einem erschrockenen Einatmen erkannte. Es war Ita, die Magd, welche Martin in Zehras Auftrag entlassen hatte. Das Mädchen nickte mit scheinbar schüchtern niedergeschlagenen Augen, aber um ihren Mund spielte ein schadenfrohes Lächeln. »Ja, Herr«, erwiderte sie leise und der Schwarzgekleidete gab den Bütteln ein Zeichen. Daraufhin traten drei von ihnen vor – die Büttelstäbe fest umklammert, die Gesichter hart und ausdruckslos. Der Ranghöchste von ihnen hielt eine Papierrolle in der Hand, die mit einem fetten roten Siegel verschlossen war. »Zehra von Katzenstein«, hub er an, »im Auftrag von Rat und Bürgermeister der Stadt Ulm überreiche ich Euch hiermit förmlich diese Vorladung vor das Stadtgericht.«
    Der Korb glitt Zehra aus der Hand, als die drei Soldaten sich ihr bedrohlich näherten. Jedes andere Geräusch war verstummt – wie von Zauberhand aus der Luft gewischt. Ohne dass die Büttel ihre Stäbe benutzen mussten, wichen die Anwesenden vor ihnen zurück, sodass sich eine Gasse bildete, die bei Zehra endete. »Im Namen des Bürgermeisters teilen wir Euch mit, dass Ihr des Mordes an

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