Der Teufelsfürst
Springinsfeld mehr war. Mit seinen sechsundvierzig Jahren war er eigentlich schon ein betagter Mann, doch die Kraft in seinen Muskeln ließ ihn die schmerzenden Gelenke und Sehnen immer wieder vergessen. Er stülpte sich einen warmen Filzhut auf den kahlen Schädel, schnallte seinen Schwertgurt um und schlüpfte in seine Reitstiefel. Wie er Helwig kannte, würde sie hoch zu Ross durch die Gassen traben wollen – damit ja niemand auf die Idee kam, sie könne eine gemeine Bürgerin sein. Er verkniff sich ein Schnauben. Als ob an den stinkreichen Ulmern irgendetwas gemein wäre! Waren doch viele der Patrizierpaläste weitaus protziger als die Stadthäuser der Adeligen aus dem Umkreis. Er schluckte den Neid, der in ihm aufsteigen wollte, und verließ die Stube. Warum sollte er sich grämen? Immerhin hatte ihm die Heirat mit seiner verstorbenen Gemahlin genug Geld eingebracht, um in Saus und Braus zu leben. Was scherte es ihn, dass andere noch mehr besaßen als er? Eine kleine Stimme tief in seinem Inneren höhnte: Es schert dich, weil diese Aufschneider sich noch bessere Pferde und Waffen leisten können als du. Er grunzte ärgerlich und stürmte in den Hof hinaus, wo seine Mutter bereits im Sattel einer Schimmelstute thronte. »Und ich dachte schon, du wolltest da drin Wurzeln schlagen«, spottete sie und zog die Mundwinkel nach unten. »Wenn du die Kleine schwängerst, werde ich sie aus dem Haus jagen«, setzte sie zuckersüß hinzu und gab ihrem Reittier die Sporen. Sie war bereits eine halbe Meile getrabt, als Johann zu ihr aufschloss und an ihre Seite ritt. »Wohin willst du?«, fragte er ruhiger, als er es für möglich gehalten hätte. Wenn sie sich in seine Angelegenheiten einmischte, würde er sie in einem der Spitäler abgeben und dafür sorgen, dass sie es bis zu ihrem Tod nicht wieder verließ! Er biss die Zähne aufeinander, um die Wut zu schlucken, die in ihm aufsteigen wollte. Ganz gewiss würde es nicht schwer sein, sie sich mit einer großzügigen Spende ein für alle Mal vom Hals zu schaffen. »Dort entlang«, erwiderte Helwig frostig und bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick – beinahe, als könne sie seine Gedanken lesen.
»Wirst du mir jetzt endlich verraten, was du bei diesem Rechtsverdreher willst?« Seit ihrem Aufbruch von Burg Katzenstein hatte Helwig immer wieder etwas von einer Urkunde gefaselt, die sie prüfen lassen wollte. Doch Johann war aus dem wirren Gerede seiner Mutter nicht schlau geworden. Er schielte verstohlen in ihre Richtung. Es war schon merkwürdig. Manchmal wirkte sie wie eine tatterige Greisin, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Doch an anderen Tagen flößte sie selbst ihm noch Respekt und manchmal sogar Furcht ein. Sein Blick zuckte zu dem Kräutersäckchen, das sie stets am Gürtel trug, und ein eisiger Schauer kroch seinen Rücken hinauf. Ob sie immer noch all die Dinge tat, die ihn als Knaben mit grenzenlosem Grauen erfüllt hatten? Ihre Antwort unterbrach seine Gedanken. »Wenn du mir nur ein einziges Mal zugehört hättest, wüsstest du, dass es um viel Geld geht.«
Ihre Nasenflügel blähten sich kaum merklich. »Und das sollte dich doch eigentlich interessieren.« Da sie nun tatsächlich sein Interesse geweckt hatte, wollte er mehr erfahren. Doch sie hob herrisch die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Gedulde dich noch ein paar Minuten, dann erfährst du, worum es geht.« Ein grausamer Ausdruck schlich sich in ihre grünen Augen, und Johann fragte sich, ob er das überhaupt wollte. Er lenkte sich damit ab, den Mädchen hinterherzusehen, die hier in Ulm mehr als reizvoll waren. Selbst seine verstorbene Gemahlin, Clara von Oettingen, hätte an den aufgeputzten Bürgertöchtern nichts auszusetzen gehabt. Und Clara war nun wirklich nicht gerade einfach zu beeindrucken gewesen! Ein Hauch von Wehmut schlich sich in sein Herz, als er an ihr perlendes Lachen und die zauberhaften Grübchen in ihren Wangen dachte. Die Wangen, welche eine langwierige Krankheit vor vielen Jahren hatte einfallen lassen. Er seufzte und vertrieb die unliebsamen Gedanken, indem er sich vorstellte, wann er die Brüste, die er vorhin nur gespürt hatte, endlich zu Gesicht bekommen würde. Ohne auf die entgegenströmenden Reiter und Fußgänger zu achten, folgte er seiner Mutter, bis sie schließlich eine Straße erreichten, die von prächtigen Kontoren und Kaufmannshäusern gesäumt wurde. Als Helwig vor einem dreistöckigen Steingebäude absaß, tat Johann es ihr gleich und
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