Der Teufelsfürst
Bürger erlitten hast oder erleiden wirst, an der Stadt oder einem ihrer Bürger rächen wirst.« Zehra sah ihn fassungslos an. Meinte er das ernst? Wie um Himmels willen sollte sie sich denn jemals an irgendjemandem rächen? »Ich schwöre«, presste sie zitternd hervor und senkte den Blick, als der Henker und zwei seiner Knechte auf sie zutraten. Einer von ihnen griff nach dem Stoff ihrer Fucke und riss diesen und ihr Untergewand entzwei, sodass Zehras Brüste daraus hervorpurzelten. Mit einem leisen Schrei hob sie die vor ihrem Bauch gefesselten Hände, um ihre Blöße zu bedecken. Aber der Henker griff nach dem Strick und zog so heftig daran, dass Zehra um ein Haar gestrauchelt wäre. »An den Pranger mit ihr!«, herrschte der Ammann den Mann an. Plötzlich erwachte der Saal wieder zum Leben. »Gebt mir einen Stock«, hörte sie die reiche Witwe eines Händlers zischen, die mehr als einmal am Tisch ihres Vaters gespeist hatte. »Man sollte ihr alle Knochen im Leibe brechen.«
Das Blut rauschte in ihren Ohren, während sie dem Henker hinterherstolperte – wie ein Stück Vieh auf dem Weg zur Schlachtbank. Der Weg ins Erdgeschoss des Rathauses kam ihr vor wie ein böser Traum. Als sie das kreideweiße Gesicht ihres Bruders in der Menge ausmachte, schloss sie die Augen.
Zwar hatte man sie dank des Bestechungsgeldes, das im Metzgerturm den Besitzer gewechselt hatte, gut behandelt. Doch die aufmunternden Beteuerungen ihres Bruders und des Prokurators hallten in ihrem Verstand nach, als wollte der Teufel sie verhöhnen. »Herr, habe Erbarmen«, murmelte sie und hätte am liebsten die Hände auf die Ohren gepresst, als sie das Rathaus verließen und den Marktplatz betraten. Wie eine windgepeitschte Woge schlugen ihr der Hass und das Geschrei der Versammelten entgegen, von denen viele mit dicken Prügeln ausgerüstet waren. Augenblicklich bohrte sich die schneidende Kälte – Tausenden von winzigen Nadeln gleich – in ihre Haut und ließ sie schon nach wenigen Schritten unkontrolliert zittern. Mit Beinen, die ihr den Dienst zu versagen drohten, gelangte sie nach einer scheinbaren Ewigkeit am Pranger unter der Kanzel des Rathauses an, wo man ihr ein Halseisen anlegte. Hoch über ihr dröhnte die Stimme des Bürgermeisters, als dieser dem Volk noch einmal ihr Urteil verlas. Kaum hatte er geendet, erhob sich ein wahrer Sturm und die ersten Schläge trafen ihren nackten Rücken. »Nur Ruten oder Riemen«, hörte sie einen der Knechte warnen, und kurz darauf pfiff eine Gerte durch die Luft. »Du verdammte Hexe!«, keifte eine Frau und drosch blind vor Wut auf Zehra ein. Bald darauf gesellten sich weitere Prügler zu der erzürnten Ulmerin, um ihrer Erbitterung Luft zu machen. Während die schreckliche Kälte sich wie eine Klaue um Zehras Brust legte, ergoss sich brennender Schmerz über ihren Rücken, der sich anfühlte, als ob ihre Haut in Streifen abgezogen würde.
Als einer der Knechte endlich ausrief, »Das ist genug. Lasst ab von ihr!«, wimmerte sie vor Dankbarkeit. Diese löste sich allerdings augenblicklich in Luft auf, sobald man ihr das Halseisen abnahm und der Henker vor ihr auftauchte. Er packte den Strick um ihre Hände und zog sie vom Rathaus weg, während einer seiner Helfer nach einem Bündel Ruten griff und begann, weiter auf Zehra einzuschlagen. Dann gab er den Stadtwächtern einen Wink, und diese begannen, einen Weg durch die Schaulustigen zu bahnen. Sobald eine Schneise entstanden war, wurde Zehra in Richtung Münsterbaustelle geprügelt – begleitet von Flüchen, Schimpfkanonaden und allerhand Unrat. Weinend zog sie die Schultern ein, um den Hieben des Henkersknechtes zu entgehen, aber dieser drosch unbeirrt weiter auf sie ein. Bereits nach wenigen Schritten gesellte sich ein infernalischer Lärm zu dem Geschrei der Menge. Das entsetzliche Getöse entstand dadurch, dass der zweite der beiden Helfer metallene Becken aneinanderschlug, um die Aufmerksamkeit derjenigen zu wecken, die sich nicht ohnehin schon dem Zug angeschlossen hatten. Wie eine Ertrinkende in aufgewühlter See kämpfte Zehra sich Schritt um Schritt weiter, stolperte, fiel und wurde wieder auf die Beine gezerrt. Irgendwann erreichten sie schließlich das Frauentor, wo die Hiebe aufhörten und der Henker ihre Fesseln löste.
Dann erhob er die Stimme und schärfte ihr ein, den Eid zu halten, den sie geschworen hatte. »Deine Verbannung ist lebenslänglich«, wiederholte er das Urteil, als ob sie es auf dem Weg vergessen haben könnte.
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