Der Teufelsfürst
nicht reagierte, fasste er ihn sanft am Kinn und drehte seinen Kopf zu sich herum.
»Lass dir in der Küche etwas zu essen geben«, drang er weiter auf den Jungen ein. Doch dieser schob lediglich die Unterlippe etwas vor und drückte Vlads Hand noch fester. Der Bursche seufzte und beugte sich über Vlad, um diesem die Stirn zu fühlen. »Gut«, murmelte er. »Das Fieber ist gesunken. Der Hekim hatte recht.« Dann streckte er die Hand nach Vlads Schulter aus. »Das wird wehtun«, warnte er. Vlad biss die Zähne aufeinander, als er den Verband mit einem Ruck entfernte. Durch den Schleier der Tränen, die ihm dabei unvermittelt in die Augen schossen, sah der junge Walache ein Knäuel blutiger Binden, ehe der Hospitalhelfer sie auf den Boden fallen ließ. »Ich muss deine Wunden säubern«, sagte dieser beinahe entschuldigend. Die nächste halbe Stunde kostete Vlad viel Kraft, damit er nicht vor Schmerz brüllte wie eine Gebärende. Nachdem auch Vlads Rücken versorgt war, wusch sich der Helfer die Hände in einer Wasserschüssel und beschied: »Ich lasse dir etwas Linsensuppe und Fladenbrot bringen.« Sein Blick wanderte zu Radu. »Für ihn auch.« Dann raffte er seine Sachen zusammen und eilte weiter zum nächsten Lager, von dem kurz darauf ein Schrei ertönte. Da das Pochen in Vlads Körper langsam abklang, legte sich auch die Übelkeit. Er spürte, wie sein Magen sich hungrig zusammenzog. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? So schwach, wie er sich fühlte, musste es Tage her sein. Viele Tage. Zwar schien sich sein Verstand noch dagegen zu sträuben, doch allmählich kehrte die Erinnerung an das Grauen im Kerker und die Begegnung mit dem Großwesir zurück. Er kniff die Brauen zusammen, als er versuchte, sich das Geschehene ins Gedächtnis zu rufen. War es tatsächlich Halil Pascha gewesen, der ihn befreit hatte oder hatte er sich das nur eingebildet?
Und wo war Prinz Mehmet? Hatte der Traum, aus dem er erwacht war, irgendeine Bedeutung? Und wie kam es, dass Radu bei ihm war?
Fragen über Fragen. Ehe er sich weiter das Gehirn zermartern konnte, näherte sich ein kleiner Bursche mit einem riesigen Tablett, auf dem zwei randvolle Holzschalen und ein ölig glänzendes Brot lockten. Mit schüchtern niedergeschlagenen Augen stellte der Knabe das Essen auf einem Tischchen ab und reichte Vlad eine der Schüsseln. Da Radu sich nicht regte, als er diesem ebenfalls etwas anbot, zuckte er ratlos die Achseln und huschte kurz darauf wieder davon. »Radu«, drängte Vlad und befreite seine Hand aus dem eisernen Griff des Jüngeren. »Du musst auch etwas essen.« Als Radu ihn lediglich blicklos ansah, fügte er hinzu: »Bitte. Tu es für mich.«
Einen Moment lang schien es, als habe sein Bruder ihn nicht gehört. Doch dann hob er langsam den Arm und nahm die zweite Schale entgegen. Einige Herzschläge lang betrachtete er die sämige, orangefarbene Suppe wie etwas Fremdes, Rätselhaftes, bevor er den Löffel in die dampfende Flüssigkeit tauchte und zu essen begann. Während die eigene Schüssel ihm beinahe die Hand verbrannte, verfolgte Vlad jede Bewegung seines Bruders mit schwerem Herzen. Wenn er doch nur nicht so dumm gewesen wäre! Wenn er doch nur nachgedacht hätte, ehe er den osmanischen Prinzen angegriffen hatte!
Radus ausdruckslose Miene und die stumpfen Augen waren beinahe zu viel für ihn. Mit aller Gewalt zwang er sich, den brennenden Klumpen in seiner Kehle zu schlucken. Er war schuld am Leid des Bruders. Er allein! Das erneut mit aller Macht aufflammende Schuldgefühl drohte ihm die Fassung zu rauben. Daher wandte er hastig den Blick von Radu ab – in dem Versuch, seine Gefühle vor dem teilnahmslosen Knaben zu verbergen. Obwohl ihm mit einem Mal die Kehle eng war, unterdrückte er ein verzweifeltes Stöhnen und tauchte ebenfalls den Löffel in die mit Minze verfeinerte Suppe. Zuerst schien es, als wolle sich sein Körper gegen das Essen wehren, da ihm jede Bewegung Qualen bereitete. Doch irgendwann verschwand auch der letzte Bissen in seinem Mund. Erschöpft, aber gesättigt ließ er sich zurück in die Kissen sinken. Auch Radu schien sein Mahl beendet zu haben, da er seine Schale auf den Boden stellte und sich von Vlads Lager erhob. »Wo willst du hin?«, fragte Vlad, aber anstatt einer Antwort knöpfte Radu seinen Kaftan auf, streifte ihn ab und zog die Schuhe aus.
Dann hob er Vlads Decke und schlüpfte zu seinem Bruder ins Bett, um sich an ihn zu kuscheln, wie er es als Kind immer getan hatte.
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