Der Teufelsfürst
Gestalt das Bündel nach einigen ohrenbetäubenden Augenblicken öffnete und ein krebsroter Säugling zum Vorschein kam, kniff Zehra ungläubig die Augen zu. Eine Zeit lang fürchtete sie sich davor, zu blinzeln, da ihre Fantasie ihr die schrecklichsten Bilder vorgaukelte.
Kaum erklang allerdings ein schmatzendes Geräusch, gab sie der Versuchung nach und stieß ein überraschtes Keuchen aus.
Anstatt Fänge zu erblicken, die sich in das weiche Fleisch des Kindes gruben, sah sie eine entblößte Brust und ein winziges Mündchen, das sich gierig darum schloss. Im Schein der herbeigetragenen Kerzen wirkten auch die anderen Ungeheuer plötzlich weniger dämonenhaft. Als sich eine der Gestalten über Zehra beugte, erkannte sie, dass es sich um eine dunkelhäutige Frau handelte, nicht um eine Kreatur der Hölle. »Hab keine Angst«, sagte diese in akzentgefärbtem Deutsch. »Wir wollen dir helfen.« Zehras Blick wanderte zu der Schüssel, welche die Frau in den Händen hielt. Darin schwammen Lappen in einer Flüssigkeit, die stark nach Minze und Kamille roch. Als erneut Hände nach ihren Beinen griffen, wollte sie protestieren. Aber anstatt Worten brachte sie lediglich ein heiseres Röcheln zustande, das wenig später in einen Hustenanfall überging. Während ihr gesamter Oberkörper sich verkrampfte, fuhren ihr heftige Stiche in die Lunge. Übelkeit überwältigte sie. Würgend krümmte sie sich zusammen und rang nach Luft, wodurch sich der Schmerz allerdings noch verstärkte. Jemand fasste sie bei den Schultern, setzte sie auf und hielt ihr ein Tuch vor den Mund, das schon nach wenigen Augenblicken mit schwarz-roten Flecken verunziert war.
Als sich der Anfall endlich legte, zitterte Zehra am ganzen Leib, und kalter Schweiß rann von ihrer Stirn in ihre Augen.
»Du musst ruhen«, sagte die Frau mit der Schüssel und drückte Zehra zurück in die Kissen. Dann tupfte sie ihr Stirn und Kinn ab und wrang einen der Lappen aus, ehe sie diesen um ihre Wade wickelte. »Wenn du nicht ruhst, wirst du sterben«, warnte sie, nachdem sie Zehra wieder zugedeckt hatte.
»Hörst du? Sterben!« Sie hob einen rot gefärbten Finger an die ebenfalls bemalten Lippen und schüttelte den Kopf.
»Wenn Gyura dich nicht gefunden hätte, dann wärest du ertrunken oder erfroren.« Obwohl Zehra jede einzelne Faser im Leib schmerzte, versuchte sie die Bedeutung der Worte zu begreifen. Was war geschehen? Wie war sie hierher gekommen?
Und wo genau war hier?
Im flackernden Schein der Kerzen sah sie Bretterwände und eine niedrige Holzdecke. Zahllose Menschen drängten sich in dem kleinen Raum, der sich zu bewegen schien. Die Gesichter, die sie erkennen konnte waren dunkel. Manche von ihnen zierten rote oder schwarze Muster. Frauen und Kinder.
Es waren alles Frauen und Kinder! Irgendwie erleichterte Zehra diese Erkenntnis so sehr, dass sie die nagenden Fragen beiseite schob, die sich in ihrem Kopf überschlugen. Wenn sie nicht bereits tot und dies eine Prüfung war, dann schien sie hier in Sicherheit zu sein. Auch wenn sie sich nicht genau entsinnen konnte, was mit ihr geschehen war, spürte sie jetzt, da ihre Sinne zurückkehrten, dass man ihr hier nichts Böses wollte. Sie öffnete den Mund zu einer Frage, aber auch dieses Mal brachte sie nicht viel mehr zustande als ein schwaches Krächzen. »Trink das«, befahl die Frau, welche ihr die Wadenwickel angelegt hatte und setzte eine Schale an Zehras Lippen. Die Flüssigkeit darin war heiß und scharf und schmeckte stark nach einem Gewürz, das Zehra irgendwoher kannte.
Während sie mühsam einen Schluck nach dem anderen die Kehle hinabzwang, suchte sie den Blick der Fremden. Die Haut, die ihr vorher nachtschwarz erschienen war, hatte in Wirklichkeit einen hellen Haselnusston. Und in den dunklen Augen mit den dichten Wimpern lagen Sorge und Mitleid.
Der warme Goldton, der für den Bruchteil eines Augenblickes um sie herum aufzublitzen schien, beruhigte Zehra weiter.
Denn seit ihrer Kindheit verband sie Menschen mit dieser Farbe mit Geborgenheit und Freundlichkeit. Als sie die Schüssel geleert hatte, strich ihr die Fremde das Haar aus der Stirn und schlug ein Kreuz vor der Brust. »Die Heilige Mutter Gottes wird dich beschützen«, murmelte sie und erhob sich.
»Schlaf, damit du schnell zu Kräften kommst. Unser Herzog hat von dir gehört und ist neugierig auf die Hexe von Ulm.«
Damit wandte sie Zehra den Rücken zu und schob eines der neugierigen Kinder beiseite. Aber wenngleich das Gesagte
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