Der Teufelsfürst
Zeit nutzen, die ihm bis zum Öffnen des Kontors blieb, um die Idee in die Tat umzusetzen, die ihm während der langen Nacht gekommen war. Wozu hatte man denn all die Kontakte zu befreundeten Händlern, wenn man sie nicht um einen Gefallen bitten konnte? Das Wichtigste war, Zehra so lange in Sicherheit zu bringen, bis es ihm und Jakob Löw gelang, die Verbannungsstrafe in eine Geldstrafe umzuwandeln. Dann konnte sie wieder nach Ulm zurückkehren und dieser furchtbare Spuk würde ein Ende haben. Die falsche Zuversicht drohte zu verpuffen, als er das Rathaus vor sich auftauchen sah, weshalb er schnell mit gesenktem Kopf daran vorbeieilte. Der Fugger aus Augsburg würde ihm diesen Gefallen ganz gewiss nicht abschlagen, versuchte er sich einzureden, obwohl er den Webermeister und Kaufmann kaum kannte. Da dieser allerdings ein guter Geschäftspartner seines Vaters war, nahm er an, dass es nur eine Frage des Geldes war, den Augsburger dazu zu bewegen, Zehra Schutz zu gewähren.
Als er wenig später sein Zuhause erreichte, war Martin bereits auf den Beinen, aber Utz ignorierte die fragende Miene seines Verwalters. »Guten Morgen«, sagte er stattdessen mit ausdruckslosem Gesicht und eilte – je zwei Stufen auf einmal nehmend – ins Obergeschoss. Dort warf er sich in den Sessel seines Vaters, griff nach Papier und Federkiel und begann zu schreiben.
Kapitel 17
Edirne, Sultanspalast, Anfang März 1447
Vorsichtig richtete Vlad Draculea sich in den Kissen auf und betastete seine Schulter. Zum ersten Mal seit über einer Woche bereitete ihm die Berührung keine Schmerzen mehr.
Auch sein Rücken fühlte sich an diesem Morgen besser an. Das Hämmern in seinem Kopf hatte nachgelassen, und als ihm einer der Hospitalhelfer einen Becher mit gesüßtem Pflaumensaft reichte, trank er diesen so gierig, dass ihm ein Teil davon vom Kinn troff. Seit Radu vor zwei Tagen von einem Eunuchen zurück in die Iç Oğlan – die Schule der Pagen – gebracht worden war, fühlte Vlad sich einsam. Die Anwesenheit des Bruders hatte ihm das Gefühl gegeben, das Geschehene irgendwann wieder auslöschen zu können. Zwar hatte Radu immer noch kein einziges Wort mit ihm gesprochen, aber der Ausdruck in seinen Augen war Vlad nicht mehr ganz so leer erschienen. Er seufzte und stellte den Becher ab. Wenn er doch nur nicht so furchtbar viel Zeit zum Nachdenken hätte! Zuerst hatte Radus Gegenwart dafür gesorgt, dass die Schuld ihn innerlich zu zerfressen drohte. Doch irgendwann hatte der warme Körper seines Bruders ihn auch an seine Kindheit erinnert. Er hatte von den Wäldern seiner Heimat, seiner Mutter und den schneebedeckten Gipfeln der Karpaten geträumt.
Später war dann die Schwermut der Entschlossenheit gewichen, und er hatte begonnen, Pläne zu schmieden. Pläne, von denen er wusste, dass er sie vermutlich niemals in die Tat umsetzen würde. Er schob das Kissen unter seinem Kopf zurecht und starrte an die Decke. Und dennoch, warum sollte ihm nicht auch gelingen, was Georg Kastriota gelungen war? Dem Mann, den Vlad vor dessen Flucht vor vier Jahren am Sultanshof kennengelernt hatte. Damals hatte Kastriota den Namen Iskender-Beğ getragen und war – wie Vlad und Radu – eine Geisel der Osmanen gewesen. Im Laufe der eigenen Geiselhaft hatte Kastriota den Sultan aber offenbar so von seiner Ergebenheit überzeugt, dass dieser ihm nicht nur einen osmanischen Namen, sondern auch ein militärisches Kommando und ein Lehen gegeben hatte. Als der Sultan ihn dann allerdings nach dem Tod seines Vaters nicht als Fürst in Albanien eingesetzt hatte, war Kastriota mit dreihundert der ihm unterstellten Männer geflohen. Und seitdem leistete er in den Gebirgen des Balkans erbitterten Widerstand gegen die osmanische Armee.
Ein verträumtes Lächeln huschte über Vlads Gesicht. Vielleicht würde ihm und Radu auch irgendwann die Flucht gelingen. Oder der Sultan ließ sie frei, jetzt wo Vlads Vater einen Bündnispakt mit ihm geschlossen hatte. Das Lächeln erstarb.
Nein. Sultan Murad würde ganz gewiss nicht so dumm sein, seine Geiseln freizulassen! Dazu war er viel zu gerissen. Der einzige gravierende Fehler, welchen der Sultan in den vergangenen Jahren begangen hatte, war der, seinen Sohn Mehmet frühzeitig als Thronfolger einzusetzen, damit er selbst sich in den Ruhestand zurückziehen konnte. Das Lächeln kehrte zurück, als Vlad an den Aufstand der Janitscharen zurückdachte, der im vergangenen Jahr dafür gesorgt hatte, dass Murad auf den Sultansthron
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