Der Teufelsfürst
an den Erinnerungen tief in Zehras Seele rührte, reichte es nicht aus, um ihr Gedächtnis zurückzubringen. Wenn ein Herzog nach ihr verlangte, war sie dann in einem fremden Land? Ehe sie den Gedanken weiterverfolgen konnte, spürte sie, wie eine angenehme Schwere sich in ihr ausbreitete und ihr die Augen zufielen.
Kapitel 19
Ulm, ein Stadthaus, Anfang März 1447
»Mein lieber Freund.
Die Nachricht vom Tod Eures Vaters hat mich mit großer Trauer erfüllt, denn er war stets ein gern gesehener Gast in meinem Hause. Seid meiner tiefen Anteilnahme versichert.
Meine Gebete sind mit ihm.
Die Verurteilung und Verbannung Eurer Schwester macht mich zornig und beweist einmal mehr, wie gefährlich es ist, wenn Narren das Regiment in einer Stadt führen. Aber ich will Euch mit meinem Ärger nicht noch weiter belasten.
Es wäre mir eine Ehre, Eurer Schwester Zuflucht zu gewähren. Genau wie Euer Vater seid auch Ihr und sie stets willkommen unter meinem bescheidenen Dach. Einem Freund zu helfen, erachte ich als die Pflicht eines jeden guten Christen.
Schickt sie auf den Weg, sobald sie bei mir eintrifft, werde ich Euch eine Nachricht zukommen lassen.
Gott sei mit Euch
Jakob Fugger«
Nachdem er eine Weile regungslos dagesessen und auf den Brief gestarrt hatte, ließ Utz von Katzenstein ihn mit einem Seufzen auf den Schreibtisch fallen und sah aus dem bunt verglasten Fenster. Nach der klirrenden Kälte des vergangenen Monats hatte der März die ersten Anzeichen des Frühlings gebracht. Obwohl er dankbar war für die mildere Witterung, erschien ihm das Zwitschern der Vögel jeden Tag mehr wie eine Schelte für sein Versagen. Seit beinahe zwei Wochen schlich er nun schon Abend für Abend in das Versteck auf der Koppel, um jedes Mal aufs Neue festzustellen, dass der Sack mit Zehras Sachen nach wie vor unberührt unter dem Strohhaufen auf sie wartete. Obgleich er die Hoffnung allmählich aufgab, hatte er erst gestern einige der inzwischen von Mäusen angenagten Lebensmittel durch frische ersetzt und noch einmal Männer ausgeschickt, welche die Gegend vor den Stadttoren durchstreifen sollten. Irgendwo musste sie doch sein! Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und fragte sich, was er wohl übersehen haben könnte. War der Plan nicht vollkommen sicher gewesen? Hatte er Zehra nicht sogar einen Dolch in die Heuke gesteckt, die er ihr bei ihrer Austreibung aus der Stadt zugespielt hatte? Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne und nagte gedankenverloren daran. War es überhaupt noch im Bereich des Möglichen, dass sie jemals wieder auftauchen würde? Oder lag sie erschlagen und geschändet in irgendeinem Graben – von wilden Tieren zerfetzt und derart entstellt, dass niemand sie je wiedererkennen würde? Er schauderte.
Hatte der plötzliche Aufbruch der Fahrenden, die wochenlang vor der Stadt gelagert hatten, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Sollten die Zigeuner ihr ein Leid zugefügt, sie als Vogelfreie erkannt und sich an ihr vergangen haben? Die Vorstellung ließ ihn aufstöhnen. Was hatte seine Familie nur getan? Warum kam all dies Unglück über sie? Er vergrub das Gesicht in den Händen. Aber ehe ihn die Verzweiflung gänzlich überwältigen konnte, klopfte es an der Tür des Kontors.
»Was ist?«, presste er hervor, als wenig später Martin den Kopf hereinsteckte. Nachdem der Verwalter die geröteten Augen des jungen Mannes kurz mit einem Blick gestreift hatte, sagte er steif: »Ein Kunde. Er möchte die Araberhengste sehen.« Er zog sich mit einem knappen Nicken zurück, und Utz erhob sich mit schmerzendem Kopf. Die Pflicht rief. Er konnte es sich nicht leisten, um Schwester oder Vater zu trauern. Denn dann würde ihm die Kontrolle entgleiten – ein Ding der Unmöglichkeit, nachdem er unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass er und nicht Martin die Geschäfte führte.
Er griff nach einer teuren Zobelmütze, zog seinen Tabbard zurecht und entschied sich gegen einen Mantel. Es würde sicher einen besseren Eindruck auf den Kunden machen, wenn dieser das kostbare Fell an Hals und Ärmelaufschlägen sah.
Immerhin hatte er ein Vermögen für diesen Rock ausgegeben.
Lustlos trat er auf den Korridor hinaus und holte einige Male tief Luft, bevor er sich auf den Weg ins Untergeschoss machte.
Dort bildete eine Gruppe Bewaffneter einen Kreis um einen stämmigen Mann, auf dessen blauem Waffenrock ein goldener Stern prangte. Die rechte Schulter zierte ein Wappen mit einem silbernen Elefanten, und in den Augen
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