Der teuflische Lord (German Edition)
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Ein erbarmungswürdiges Stöhnen weckte Melisande und jagte ihr einen gehörigen Schrecken ein. War ein wildes Tier in die Hütte eingedrungen? Ein Wildschwein vielleicht, das die grunzenden und stöhnenden Laute von sich gab? Vorsichtshalber zog Melisande ihre Beine ganz nah an ihren Oberkörper, rollte sich zu einer Kugel zusammen und hoffte, das Tier möge schnell auf die gleiche Weise verschwinden, wie es hierhergekommen war. Doch die Laute kamen weiter aus der gleichen Richtung, und so war die Maid gezwungen nachzusehen, ob sie das wilde Geschöpf irgendwie hinaustreiben konnte. Wie sie ein solches Vorhaben zuwege bringen sollte war ihr selbst nicht klar. Aber die Augen zu schließen und einfach nur abzuwarten war auch keine Lösung.
Melisande wollte ihr Schicksal nicht über Gebühr herausfordern, indem sie sich einfach so in Gefahr begab. Ein gründlicher Rundumblick in der dämmrigen Hütte konnte ihr sicher irgendeinen Anhaltspunkt liefern, aus welcher Richtung Gefahr drohte. Doch ein erneutes lautes Stöhnen wirkte nicht sehr beruhigend. Das Zittern, das sie bei diesem Ton überlief, kam dieses Mal eindeutig nicht von der Kälte. Sein Ursprung lag wohl eher darin, dass sich Melisande noch nie als besonders mutig angesehen hatte.
Ein Röcheln mischte sich jetzt in das Stöhnen, und Melisande glaubte ein Wort aus diesem Laut herauszuhören. Ein gequältes Wort, der heisere Schrei um Hilfe. „Nein! Nein!“
So würde sich ein Tier kaum bemerkbar machen. Das Stöhnen und die erbarmungswürdigen Laute mussten demnach einem menschlichen Wesen entwichen sein. Doch wer wurde so furchtbar gepeinigt, um solche Laute von sich zu geben?
Wenn sie das herausbekommen wollte, musste Melisande damit aufhören sich wie ein Kaninchen ängstlich in eine Ecke zu drücken. Mit gutem Zureden gelang ihr das auch, indem sie sich selbst sagte, dass ein Schrei ihrerseits den Recken im Stall alarmieren würde. Nikolas hatte ihr schließlich versprochen, sie zum Kloster zu eskortieren. Dieses Versprechen könnte er jedoch nicht halten, wenn sie hier in der Hütte zu Schaden kam.
Seinen Namen schon auf den Lippen, bereit einen Ruf auszustoßen, blickte sie in jeden Winkel der einfachen Behausung. Eine Aufgabe, die in dem kleinen Raum nicht viel Zeit beanspruchte und schnell zu einem Ergebnis führte.
Das, was sie entdeckte, war - wenn auch nicht gefährlich - dann doch so verblüffend, dass sie den Namen, den sie eigentlich um Hilfe anrufen wollte, nun anders über ihre Lippen entweichen ließ.
„Nikolas!“
Dieses eine Wort war nur ein Flüstern des Entsetzens. Mit nur drei Schritten war die Maid an der Seite der Person, die sich fiebrig vor dem verglimmenden Feuer auf dem Boden wand.
Ihre Hand, die Melisande dem Recken auf die heiße Stirn legte, zuckte reflexartig zurück. Der Mann, der noch vor wenigen Stunden kein Anzeichen einer Krankheit gezeigt hatte, glühte jetzt förmlich. Er musste ihre prüfende Berührung bemerkt haben, da sich sofort seine Hand um ihr Gelenk schloss und ihre Finger dorthin zurückbrachte, wo sie eben für den Bruchteil eines Augenblicks gelegen hatten.
Melisande meinte verbrennen zu müssen. So unbarmherzig dieser Griff auch war, verstand sie doch schnell, dass ihre kühle Hand dem Mann ein klein wenig Erleichterung verschaffte. Darum behielt sie ihre Hand auch dort, wo sie jetzt lag, nachdem der Arm des Recken erschöpft hinabgesunken war.
Eine Träne löste sich aus den geschlossenen Augen und lief über die glühende Wange. Etwas, das dem Mädchen nicht entgehen konnte, da sie so nah bei dem Kranken am Boden kniete. Darum verstand sie auch einige der Worte, die rau und schwach seinen Lippen entschlüpften.
„Es reißt mir das Herz aus der Brust, Mutter. Vergib mir, dass ich dich nicht retten konnte!“ Die geflüsterten, kaum verständlichen Worte gruben sich tief in Melisandes Seele. Sie glaubte, den Schmerz, den der Recke mit nur wenigen Worten ausdrückte, selbst zu spüren. So viel Gefühl, so viel Pein hatte sie noch nie in einem Menschen gesehen. Auch wenn sie eine schwächere Version davon selbst erlebt hatte, als ihr geliebter Vater nach einer langen schweren Krankheit von ihr gegangen war.
Dass Worte in so einem Fall nichts halfen wusste sie aus eigener Erfahrung, und deshalb strich sie tröstend mit der Hand, die noch immer auf seiner Stirn lag, sanft darüber hinweg. Auch ihr hatte es geholfen, von ihrer lieben Gefährtin Anouk einfach nur gehalten zu werden, während sie
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