Der Thron der roten Königin
schnappt sich die gierige Sirene Elizabeth, die sich selbst Königin nennt. Sie raubt ihn uns, seiner Familie, und verlobt ihn mit ihrer Schwester, Katherine Woodville, einem Mädchen, das geboren wurde, um in Northampton Hühner zu züchten. So wird die kleine Woodville zur Herzogin und damit zum Oberhaupt unseres Hauses. Mein Gemahl protestiert nicht gegen diese Entführung unseres Jungen, er sagt, es sei Teil der neuen Weltordnung, an die wir uns gewöhnen müssen. Das gelingt mir nicht. Ausgeschlossen. Daran werde ich mich nie gewöhnen.
Einmal im Jahr besuche ich meinen Sohn im protzig luxuriösen Haushalt von Lord Herbert, sehe ihn größer und stärker werden. Ich sehe, wie er sich entspannt unter den Yorks bewegt, geliebt von Anne Devereux, der Gemahlin von Black Herbert, wie er liebevoll und gelöst im Umgang mit ihrem Sohn William, seinem besten Freund, seinem Kameraden bei Spiel und Studien, ist, und ebenso liebevoll mit ihrer Tochter Maud, die sie ihm ganz eindeutig – ohne ein Wort zu mir – zur Frau bestimmt haben.
Jedes Jahr besuche ich ihn getreu und spreche mit ihm über seinen Onkel Jasper im Exil und über seinen Verwandten, den König, der im Tower von London gefangen gehalten wird, und er hört mir zu, den braunen Schopf mir zugeneigt, lächelnder Gehorsam in seinen braunen Augen. Solange ich spreche, hört er mir höflich und aufmerksam zu, ohne mir je zu widersprechen oder mir Fragen zu stellen. Aber ich kann nicht sagen, ob er wirklich ein Wort meiner ernsten Predigt versteht: dass er sich bereithalten muss und nicht vergessen darf, dass er ein Junge ist, der zu Großem auserwählt ist. Dass ich, seine Mutter, Erbin der Beauforts und des Hauses Lancaster, bei seiner Geburt beinahe gestorben wäre, wir indes beide von Gott gerettet wurden, um einem großen Ziel zu dienen. Und dass er nicht geboren wurde, um froh über die Zuneigung eines Mannes wie William Herbert zu sein. Ich möchte gewiss kein Mädchen wie Maud Herbert zur Schwiegertochter.
Ich trichtere ihm ein, er müsse bei ihnen leben wie ein Spion, wie ein Feind im gegnerischen Lager. Er müsse sich freundlich geben und auf die Zeit seiner Rache warten. Er müsse das Knie vor ihnen beugen, doch vom Schwert träumen. Doch das tut er nicht. Er kann es nicht. Er lebt bei ihnen wie ein offenherziger Junge von fünf, sechs, sieben Jahren. Er lebt bei ihnen, bis er dreizehn ist, und wächst unter ihrer Obhut, nicht unter meiner, zu einem jungen Mann heran. Sie erziehen ihn, nicht ich. Sie lieben ihn wie ihren Sohn. Mir ist er kein Sohn, und das werde ich ihnen niemals verzeihen.
Fast neun Jahre lang träufele ich ihm flüsternd Gift in sein kleines Ohr – gegen den Vormund, dem er vertraut, und gegen die Gemahlin seines Vormunds, die er liebt. Ich sehe, wie er in ihrer Obhut aufblüht und an ihrem Unterricht wächst. Sie stellen Meister der Fechtkunst für ihn an, Lehrer für Französisch, Mathematik und Rhetorik. Sie scheuen keine Kosten, wenn es um seine Unterweisung geht, und ermutigen ihn zu lernen. Sie lassen ihm die gleiche Bildung zuteilwerden wie ihrem eigenen Sohn; die beiden Jungen lernen gleichberechtigt Seite an Seite. Ich habe keinen Grund zur Klage. Doch in all den Jahren unterdrücke ich stumm ein zorniges Heulen: Er ist mein Sohn, der Thronerbe von England und ein Sohn des Hauses Lancaster. Um Gottes willen, was tut er hier, glücklich gedeihend im Haushalt eines Yorkisten?
Ich kenne die Antwort. Ich weiß, was er in einem der treuen Häuser von York macht. Er wächst zum Yorkisten heran. Er liebt den Luxus und die Behaglichkeit von Raglan Castle; ich schwöre, er würde sie der heiligen Schlichtheit meines neuen Zuhauses in Woking vorziehen, wenn man ihm je erlaubt hätte, mich dort zu besuchen. Er erwärmt sich für die sanfte Frömmigkeit von Anne Devereux. Mein Wunsch, er möge alle Tagesgebete lernen und alle Gedächtnistage der Heiligen ehren, wäre zu viel verlangt von einem kleinen Jungen – das weiß auch ich. Er bewundert den Mut und den Schneid von William Herbert, und während er seinen Onkel Jasper immer noch liebt und ihm auch schreibt, um ihm das zu sagen – jungenhafte Briefe voller Prahlerei und Zuneigung –, lernt er, den Feind seines Onkels zu bewundern und ihn sich zum Vorbild eines galanten, ehrenhaften Edelmanns und Grundbesitzers zu nehmen.
Dass er mich als Frau betrachtet, die sich mit einer Niederlage nicht abfinden kann, ist das Schlimmste für mich. Ich weiß, wie er denkt. Er hält mich
Weitere Kostenlose Bücher