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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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einer Taube als Köder in einem Netz gefangen. Es war ein Zugvogel, noch in seinem juvenilen Federkleid, und seine muskulöse Brust wies eine erdfarbene Bänderung auf. Wayland hatte ihm die Fußfessel angelegt und die Augen zugenäht und ihn dann in Ruhe gelassen, bis er an dem spitz hervortretenden Brustbein des Habichts ablesen konnte, dass er mit sich arbeiten lassen würde. Seit Wayland ihn am Vorabend hochgenommen hatte, saß er ununterbrochen auf seiner Faust. Der Vogel würde nicht schlafen, bevor er gefressen hatte. Und bevor er gefressen hatte, würde auch Wayland keinen Schlaf bekommen.
    Als die Fremden im Palas verschwunden waren, drückte Wayland den Fensterladen zu und wandte sich um. Die Arena für seinen Kampf der Willenskräfte war ein Stallgebäude aus gespaltenen Eichenstämmen, das von einer einzelnen Lampe erhellt wurde. Hinter einem Vorhang am anderen Ende dösten zwei Wanderfalken – ein Weibchen und ein Terzel, wie die männlichen Greifvögel genannt wurden – auf einer Sitzstange. Wayland begann auf dem Boden aus gestampfter Erde auf und ab zu gehen, vier Schritte vor, vier Schritte zurück. Ein gefleckter Jagdhund, der neben seiner Pritsche auf dem Boden lag, verfolgte seine Bewegungen mit schläfrigem Blick. Der Hund war immens groß und schwerer als die meisten ausgewachsenen Männer. Er war eine Mischung aus Mastiff, Windhund und Wolf, und sein Stammbaum reichte bis zu den keltischen Kampfhunden zurück, die von den römischen Invasoren in Britannien gerühmt worden waren.
    Während er auf und ab ging, zog Wayland ein Stück Taubenbrust über die Fänge des Hühnerhabichts. Der Vogel reagierte nicht darauf. Er konnte nichts sehen und besaß keinen Geruchssinn. Das Fleischstück war allenfalls eine Störung. Wayland strich ihm mit einer Feder über Rücken und Schultern. Auch dieser Berührung schenkte das Tier keine Beachtung. Als Wayland es leicht in die mittlere Zehe zwickte, provozierte er ein leises Zischen – aber das war nichts im Vergleich zu dem aufgeregten Schreien, das zu Beginn der Gefangennahme jeder noch so leichten Berührung gefolgt war. Wayland wusste, dass der Habicht bereit war zu fressen. Einige fraßen noch in der ersten Nacht, die meisten verweigerten die Nahrung ein oder zwei Tage, doch erst ein einziges Mal hatte Wayland einen Habicht gefangen, der eher verhungern als sich unterwerfen wollte. Auch das war ein Hühnerhabicht gewesen – ein so betagter Altvogel, dass seine Augen zur Farbe von Taubenblut nachgedunkelt waren. Das Tier hatte einen Tag und eine Nacht lang immer wieder mit wilden Flügelschlägen versucht, von Waylands Handschuh aufzufliegen, sodass er schließlich die Fessel durchschnitten und es in die Freiheit entlassen hatte.
    Wayland war weniger auf seine Aufgabe konzentriert, als er es hätte sein sollen. In der Garnison summte es wie in einem Bienenstock vor lauter Geschichten über die Fremden. Ein geheimnisvoller fränkischer Veteran ferner Kriege hatte Fulk das Handgelenk gebrochen und Roussel das Schwert an die Kehle gesetzt. Und war damit durchgekommen! Sein Diener – sein Lustknabe, behaupteten manche – war ein Astrologe, der jede vorstellbare Sprache beherrschte und Medizin mit sich führte, die vom Papst gesegnet worden war. Wayland wollte unbedingt einen genaueren Blick auf sie werfen, aber er konnte nicht aus dem Stall, solange er den Habicht nicht gezähmt hatte. Er beschloss, das Verfahren zu beschleunigen, und zog mit Daumen und Zeigefinger das rechte Bein des Habichts nach unten, bis der Vogel wütend mit dem Kopf auf seine Hand vorstieß. Doch statt in die Hand grub sich sein Schnabel in die Taubenbrust. Er zerrte ein Stückchen davon ab, glaubte, seinen Gegner erwischt zu haben, und schleuderte das Fleischbröckchen mit dem Schnabel von sich. Der Geschmack aber blieb haften. Der Vogel sonderte Speichel ab und balancierte sein Gewicht auf dem Handschuh besser aus. Wayland hielt den Atem an, als der Habicht sein Federkleid aufplusterte und seine Kontur dabei anschwoll, wie bei jemandem, der tief einatmet, bevor er niesen muss. Das Tier richtete sich mit wütendem Flattern auf, schlug mit dem Schwanz, spannte die Krallen an und senkte den Kopf.
    Der Hund öffnete die Augen. Er hob seinen zerfurchten Schädel, lauschte und sprang in einer einzigen, unerwarteten Bewegung auf alle viere. Diese Bewegung brachte den Habicht so gewaltsam zum Zustoßen, dass der Luftzug, den sein Flügelschlag verursachte, die Lampe ausblies. Im Dunkeln

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