Der Thron der Welt
solch eine lange und abenteuerliche Reise unternommen.»
«Sie hat Richard und Raul das Leben gekostet.»
«Richard hat seine Entscheidung mitzukommen keinen einzigen Augenblick bereut. Und ich auch nicht.»
Sie ritten inzwischen durch den Wald. Vallon streckte die Hand aus und drückte Heros Arm. «Das ist tröstlich.»
Hero beugte sich zu ihm herüber. «Und Drogo weiß nichts von dem verlorenen Evangelium. Vielleicht hält das Schicksal ja doch noch ein oder zwei Überraschungen bereit.»
Wayland führte die Gruppe den ansteigenden Waldweg hinauf. Die Pferdehufe rutschten laut über den steinigen Untergrund, und sie waren noch nicht weit gekommen, als ein Hund zu bellen anfing und von einer Stimme zur Ruhe gemahnt wurde. Noch zwei weitere schlafende Haushalte weckten sie auf. Vor einem der Gehöfte rannten zwei zähnefletschende Wachhunde auf den Weg und erschreckten die Pferde, bevor Wayland sie vertrieb. Die ganze Nacht stiegen sie zwischen immergrünen Eichen und Esskastanienbäumen höher. Als es dämmerte, waren keine Ansiedlungen mehr zu sehen, und sie hielten bei einem Fluss in einer Kalksteinschlucht.
Nachdem sie gegessen hatten, schliefen sie bis mittags und setzten dann ihren Aufstieg zwischen nebelverhangenen Kiefern fort. Die Dunstschwaden wurden immer dichter, zogen kalt und grau vom Gipfel herab. In den Senken lag Schnee, und die Pferde keuchten angestrengt in der dünner werdenden Luft.
Als sie aus dem Nebel herauskamen, sahen sie die beiden Gipfel blendend weiß aus einer Wolkenbank ragen. Sie ritten zur Passhöhe weiter, der Schnee reichte den Pferden nun bis zu den Fesseln. Oben auf dem Schneefeld glitt ein Raubvogel mit dem Umriss eines Riesenfalken niedrig und langsam über ihren Weg, ein Flügel streifte beinahe den Schnee. Sein Kopf schimmerte golden im Sonnenlicht, und er sah sie mit blutroten, schwarzumrandeten Augen, unter denen ein schwarzer Bart hing, so durchdringend an, dass jeder Einzelne von ihnen das Gefühl hatte, unversehens vor seinem Richter zu stehen.
Sie quälten sich über den Pass, ihre Schatten begleiteten sie in den flachen Sonnenstrahlen als langgezogene, magere Schemen. Jenseits der Wasserscheide fiel die Gebirgskette in dünn bewaldeten Berggraten ab, die zu einem unfruchtbaren Hochplateau hin ausliefen, das sich als eintönige Welt der Horizontalen bis weit in die Ferne zog, wo es sich in einem rosigen Hauch aufzulösen schien. Dann verblassten die Sonnenstrahlen unversehens, und das Land versank in trübem, bleiernem Grau. Sie führten ihre Pferde durch kalte Schatten abwärts und waren immer noch oberhalb der Schneegrenze, als es zu dunkel wurde, um noch etwas zu sehen. Wayland fand einen geschützten Platz unter einem Felsvorsprung, wo sie viele alte Feuerstellen und Knochen entdeckten. Die Flammen ihres Lagerfeuers warfen Schattenspiele auf die Felswände und erweckten Bilder von Tieren und Jägern zum Leben, die vor zehntausend Jahren gestorben waren.
Am nächsten Morgen stiegen sie bis zum Hochplateau ab und machten sich an dessen Überquerung. Sie blieben den ganzen Tag im Sattel, immer dieselbe eintönige Landschaft vor Augen. Gegen Abend erreichten sie die obere Kante eines steilen Geländeabbruchs und entdeckten in dem weiten Talkessel unter sich überall die fledermausförmigen Formen von Nomadenzelten. Über Dutzenden von ihnen schwebte der Rauch von Kochfeuern. Sie schlugen einen weiten Bogen und lagerten in einer Schlucht des Ödlandes. Dort aßen sie und starrten in die roten Flammen des Lagerfeuers, in dem die Gedanken aller Reisenden in der Wildnis geschmiedet werden.
«Wie viel haben wir noch zu essen?», fragte Vallon Hero.
«Genug, um noch einen oder zwei Tage durchzuhalten.»
«Ich habe kein Futter mehr für den Gerfalken», sagte Wayland.
Vallon stocherte mit einem Zweig im Feuer herum. «Wir können den Nomaden nicht mehr lange ausweichen. Wir geben beim nächsten Lager auf und bitten sie, einen Boten zum Emir zu schicken.»
«Sie könnten uns töten», sagte Drogo.
«Der Emir hat Cosmas eine Art Schutzbrief gegeben», wandte sich Vallon an Hero. «Hast du ihn noch?»
«Er ist in meinem Kasten.»
«Halte ihn bereit.»
«Nomaden können aber nicht lesen», sagte Drogo.
«Sie werden das Siegel des Emirs erkennen.»
«Und was ist, wenn sie zu einem rivalisierenden Clan gehören?»
Vallon warf den Zweig ins Feuer. «Drogo, warum hältst du nicht einfach den Mund?»
Zur Mittagszeit des nächsten Tages arbeiteten sie sich
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