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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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Der Falke kämpfte einen Moment und schrie erbärmlich, dann lag er still. Der Falkenmeister fächerte zuerst den einen und danach den anderen Flügel auf. Wayland zuckte zusammen. Alle Schwungfedern waren gebrochen und schartig, die Haut zwischen den Krallen war mit Kotbröckchen verklebt, die so hart waren wie Mörtel. Die Schwanzfedern sahen ebenso mitgenommen aus. Wayland versuchte zu erklären, dass auf solch einer langen Reise, die der Falke im Käfig hatte verbringen müssen, eine ordentliche Gefiederpflege unmöglich war. Der Falkenmeister antwortete ausführlich darauf, und Wayland schnappte mehrfach den Namen des Emirs auf. Aus der Art, wie der Falkenmeister den Kopf schüttelte, schloss Wayland, dass er Suleiman den Falken in seinem derzeitigen betrüblichen Zustand nicht präsentieren konnte.
    Der Gehilfe hob den Vogel von dem Kissen. Der Falkenmeister nahm ihn an den Beinen und untersuchte die Fänge auf Zeichen von Sohlengeschwüren. Die Unterseiten zeigten keinerlei Verletzungen oder Entzündungen, die gefurchten Sohlen erinnerten merkwürdigerweise an die Handfläche eines Babys. Dann drückte der Falkenmeister den Vogelschnabel auf, um sicherzugehen, dass kein Befall durch den Gelben Knopf oder andere Infektionen vorlag.
    Einer seiner Gesellen stellte einen kleinen Bronzemörser über eine Kohlenpfanne. Während der Mörser erhitzt wurde, ging der Falkenmeister einige Gefäße mit gesammelten Schwungfedern aus der Mauser durch und suchte die hellsten heraus. Dann brachte er seine Auswahl zum Tisch und legte etwa vierzig dreikantige Holznadeln zurecht. Wayland wurde klar, dass die Seldschuken die abgebrochenen Federn des Falken verlängern wollten.
    Auf ein Wort des Falkenmeisters breitete einer seiner Gesellen die linke Schwinge des Falken auf einem Brett aus. Der Falkenmeister nahm ein Messer, schliff die Klinge auf einem Lederband nach und schnitt die innerste Schwungfeder unterhalb des gebrochenen Schafts ab. Dann sah er die Mauserfedern durch, wählte eine aus, verglich sie mit der gebrochenen, fand sie nicht passend, nahm eine andere und machte einen neuen Vergleich. Als er zufrieden war, schnitt er die Mauserfeder der Länge nach auf. Der zweite Gehilfe hatte in dem Mörser Harz geschmolzen. Der Falkenmeister nahm eine der Holznadeln, tauchte ein Ende in das Harz und führte sie in den Schaft der Ersatzfeder ein. Dann tauchte er das andere Ende in das Harz und schob es in den hohlen Schaft der abgeschnittenen Schwungfeder. Er wartete ein paar Sekunden ab, dann zog er an der Feder. Die eingepfropfte Feder hielt. Repariert entsprach sie der ursprünglichen Federlänge und war farblich und in ihrer Ausrichtung so gut angepasst, dass man schon sehr genau hinsehen musste, um den Ansatz zu erkennen.
    Feder für Feder baute der Falkenmeister die linke Schwinge wieder auf. Auch wenn sich der Vogel recht ruhig verhielt, machte sich Wayland Sorgen darüber, ob diese langwierige Prozedur das Tier überfordern könnte. Sogar ihm selbst war in dem warmen Zelt leicht übel, und er fühlte sich schwach auf den Beinen. Der Falkenmeister bemerkte, wie er sich über die Stirn fuhr, und befahl einem seiner Gesellen, Wayland etwas zu trinken zu bringen.
    Die eiskalte Flüssigkeit war süß und sauer zugleich, wohltuend und erfrischend. Dankend gab Wayland den leeren Becher zurück. Der Falkenmeister unterbrach seine Arbeit und fragte Wayland mit Gesten, ob er müde sei.
    «Sehr müde.»
    Der Falkenmeister machte ihm verständlich, dass er noch lange nicht fertig sein würde und Wayland sich ausruhen sollte. Ein Nein ließ er nicht gelten, und so führte einer der Gesellen Wayland zu einem Diwan, über den ein Kelim gebreitet war, und drückte Wayland sanft darauf hinunter, damit er die Arbeit der Seldschuken im Sitzen weiterverfolgen konnte.
    «Ibrahim», sagte der Falkenmeister.
    Wayland sah ihn an.
    Der Falkenmeister deutete auf sich selbst. «Ibrahim.»
    «Wayland.»
    «Wellund.»
    Schwarzer Nebel begann durch Waylands Sichtfeld zu ziehen. Die Gestalten am Tisch schienen in einen Tunnel zurückzuweichen. Das Nächste, was er mitbekam, war, dass ihn jemand wach rüttelte.
    Es war beinahe dunkel in dem Zelt, und einen Moment lang wusste er nicht, wo er sich befand. Einer der Gesellen bot ihm ein heißes Getränk an. Da fiel ihm der Falke ein, und er stellte fest, dass der Tisch leer war. Der Falkenmeister tauchte aus den Schatten auf und deutete auf eine der Nischen, die von dem Licht der einzigen Lampe erhellt

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