Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Nyphronkirche war. Eine enthielt ein post-imperiales Edikt über den Bau des Gefängnisses, deshalb fand ich das Dokument ja historisch so wichtig. Es belegte, dass die Kirche unmittelbar nach dem Verschwinden des Imperators die Regierungsgewalt ausübte. Das erschien mir faszinierend. Außerdem war es merkwürdig, dass der Bau eines Gefängnisses in so wirren Zeiten eine solche Priorität hatte. Heute ist mir klar, dass es eine sehr kostbare Schriftrolle war, aber damals wusste ich das natürlich nicht.«
»Moment mal«, unterbrach ihn Alric. »Dieses Gefängnis wurde also … vor neunhundert Jahren gebaut und existiert bis heute in meinem Königreich, und ich weiß nichts davon?«
»Nun ja, nach dem Datum auf der Schriftrolle begann der Bau wohl vor … neunhundertsechsundneunzig Jahren und zweihundertvierundfünfzig Tagen. Es war ein gewaltiges Unterfangen. In einem Brief ist die Rede davon, dass für die Planung und den Bau fähige Fachleute aus aller Welt angeworbenwurden. Die besten Köpfe und die höchst entwickelte Ingenieurskunst wurden dafür aufgeboten. Man höhlte das Gefängnis direkt in den Fels einer Bergwand gleich nördlich des Sees. Gesichert wurde es nicht nur mit Metall, Stein und Holz, sondern auch mit mächtigen, uralten Zaubermitteln. Als es schließlich fertig war, galt es als das sicherste Gefängnis der Welt.«
»Die müssen ja damals ganz schön schlimme Verbrecher einzusperren gehabt haben, um einen solchen Aufwand zu betreiben«, sagte Hadrian.
»Nein«, erwiderte Myron sachlich, »nur einen.«
»Einen?«, fragte Alric. »Ein ganzes Gefängnis für nur einen Mann?«
»Er hieß Esrahaddon.«
Hadrian, Royce und Alric sahen sich verblüfft an.
»Was in aller Welt hatte er denn getan?«, fragte Hadrian.
»Nach allem, was ich gelesen habe, war er für den Untergang des Imperiums verantwortlich. Das Gefängnis wurde speziell für ihn erbaut.«
Ungläubig starrten sie den Mönch an.
»Und wie genau hat er das mächtigste Imperium, das die Welt je gesehen hat, ausgelöscht?«, fragte Alric.
»Esrahaddon war ursprünglich ein geschätzter Ratgeber des Imperators, aber dann hat er ihn verraten und die ganze Familie umgebracht – bis auf den einen Sohn natürlich, der auf wundersame Weise entkam. Es wird sogar berichtet, er habe die Hauptstadt Percepliquis zerstört. Nach dem Tod des Imperators versank das Imperium in Chaos und Bürgerkrieg. Esrahaddon wurde gefangen genommen, verurteilt und eingesperrt.«
»Warum haben sie ihn nicht einfach hingerichtet?«, fragte Alric und wurde prompt mit eisigen Blicken seitens der Diebegestraft.
»Ist Hinrichtung für Euch die Patentlösung für jede Art von Problem?«, fragte Royce spöttisch.
»Manchmal ist sie einfach die beste Lösung«, erwiderte Alric.
Myron holte die Gefäße wieder herein und goss das Wasser in einen Topf. Er gab die Kartoffeln hinein und stellte den Topf aufs Feuer.
»Dann wollte Arista also, dass wir ihren Bruder zu einem Gefangenen bringen, der über tausend Jahre alt ist? Erkennt irgendjemand anderes das Problem?«, fragte Hadrian.
»Da habt ihr’s!«, rief Alric aus. »Arista lügt. Sie hat den Namen Esrahaddon wahrscheinlich während ihres Studiums an der Universität von Sheridan aufgeschnappt und nicht mitbekommen, wann der Mann gelebt hat. Es ist doch ausgeschlossen, dass dieser Esrahaddon noch am Leben ist.«
»Wäre schon möglich«, sagte Myron nebenbei, während er im Kartoffeltopf rührte.
»Wieso?«, fragte Alric.
»Weil er ein Zauberer ist.«
»Wenn du ›Zauberer‹ sagst«, fragte Hadrian, »meinst du dann, dass er ein gelehrter Mann war, dass er Karten- und Taschenspielertricks beherrschte oder dass er so etwas wie einen Schlaftrunk zusammenbrauen konnte? Royce und ich kennen jemanden, der von allem ein bisschen in sich vereint, aber den Tod kann er dennoch nicht abwehren.«
»Nach dem, was ich gelesen habe«, erklärte Myron, »waren Zauberer damals noch anders. Sie nannten Magie ›die Kunst‹. Mit dem Fall des Imperiums ging das meiste Wissen jener Zeit verloren. So zum Beispiel die uralte Teshlor-Kampfkunst, die Krieger unbesiegbar machte, oder die Bautechniken, mit denen man riesige Kuppeln erschaffen konnte, oder die Fähigkeit,Schwerter zu schmieden, die Stein zu schneiden vermochten. Genauso ging auch die Kunst der wahren Magie mit dem Aussterben der echten Zauberer unter. In Berichten heißt es, in Novrons Zeiten verfügten die Cenzar – so nannten sie die Zauberer – über
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