Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
wolltet«, sagte Royce. »Ich dachte, Esrahaddon sei irgendein alter Baron, der von Eurem Vater verbannt wurde und jetzt ein Kopfgeld auf Euch ausgesetzt hat, oder vielleicht die Mutter eines illegitimen Halbbruders von Euch, die man eingesperrt hat, um sie mundtot zu machen. Aber das? Das ist lächerlich!«
»Vergessen wir nicht, dass ihr es meiner Schwester versprochen habt.« Alric lächelte. »Können wir jetzt essen? Die Kartoffelnsind doch bestimmt fertig. Ich könnte sie alle allein verdrücken.«
Wieder erntete Alric einen vorwurfsvollen Blick von Royce.
»Macht Euch keine Sorgen wegen der Kartoffeln«, erklärte Myron. »Im Garten sind sicher noch mehr. Die hier habe ich gefunden, als ich –« Er verstummte.
»Ich mache mir keine Sorgen, Mönch, weil du nämlich mit uns kommen wirst«, sagte Alric.
»Wa-was?«
»Du bist offensichtlich ein kenntnisreicher Bursche. Du könntest uns bestimmt in allen möglichen Situationen nützen. Also wirst du deinem König zu Diensten sein.«
Myron starrte ihn an. Er blinzelte zweimal und wurde plötzlich ganz blass. »Verzeiht, aber – aber das kann ich nicht«, sagte er leise.
»Vielleicht wäre es ja wirklich das Beste, wenn du mit uns kämst«, erklärte ihm Hadrian. »Hier kannst du nicht bleiben. Der Winter steht vor der Tür, und der wird dein Tod sein.«
»Aber ihr versteht das nicht«, sagte Myron mit wachsender Angst in der Stimme und unter heftigem Kopfschütteln. »Ich – ich kann hier nicht weg.«
»Ich weiß, ich weiß.« Alric hob die Hand, um den Protest zu unterbinden. »Du musst all diese Bücher schreiben. Das ist ein wichtiges und nobles Unterfangen. Ich bin voll und ganz dafür. Mehr Menschen müssen lesen. Mein Vater war ein großer Förderer der Universität von Sheridan. Er hat sogar Arista hingeschickt. Könnt ihr euch so etwas vorstellen? Ein Mädchen an der Universität? Jedenfalls teile ich seine Ansichten, was Bildung betrifft. Aber schau dich doch einmal um, Mann! Du hast kein Pergament und vermutlich kaum Tinte. Wenn du diese Bände schreibst, wo willst du sie lagern? Hier drinnen? Da wären sie nicht vor den Elementen geschützt, siewürden zerstört und vom Wind verstreut. Wenn wir in diesem Gefängnis waren, nehme ich dich mit nach Medford und statte dich für dein Vorhaben aus. Ich sorge dafür, dass du ein richtiges Skriptorium bekommst und vielleicht ein paar Gehilfen, die dir abnehmen, was man dir abnehmen kann.«
»Das ist sehr gütig, aber ich kann nicht. Tut mir leid. Ihr versteht nicht –«
»Ich verstehe sehr wohl. Du bist offenbar Markgraf Lanaklins dritter Sohn, der, den er weggeschickt hat, um die leidige Teilung seiner Ländereien zu vermeiden. Du bist einmalig – ein gelehrter Mönch mit einem eidetischen Gedächtnis und noch dazu von Adel. Wenn dein Vater dich nicht will, ich kann dich allemal gebrauchen.«
»Nein«, wandte Myron ein, »das ist es nicht.«
»Was dann?«, fragte Hadrian. »Du hockst hier nass und durchgefroren in einem Stein- und Erdloch, nur in eine Decke gehüllt, mit der Aussicht auf ein Festmahl aus zwei ganzen gekochten Kartoffeln, und dein König bietet dir eine komfortable Stellung an seinem Hof an, und du weigerst dich?«
»Ich will ja nicht undankbar sein, aber ich – na ja, ich habe das Kloster noch nie verlassen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich war immer hier. Ich bin mit vier Jahren hierhergekommen. Ich war nie woanders – kein einziges Mal.«
»Aber ihr wart doch sicher mal in Roe, dem Fischerstädtchen?«, fragte Royce. Myron schüttelte den Kopf. »Oder in Medford? Und hier in der Umgebung? Ihr seid doch wohl wenigstens mal am See gewesen, zum Angeln oder einfach um spazieren zu gehen?«
Myron schüttelte wieder den Kopf. »Ich habe das Klostergelände nie verlassen. Ich war nicht einmal am Fuß des Hügels.Ich weiß nicht genau, ob ich hier weggehen kann. Schon bei dem bloßen Gedanken wird mir ganz schlecht.« Myron prüfte, wie trocken seine Kutte inzwischen war. Hadrian sah seine Hand zittern, obwohl er schon seit einiger Zeit nicht mehr fror.
»Deshalb warst du also so fasziniert von den Pferden«, sagte Hadrian mehr zu sich selbst. »Aber du hattest doch schon einmal Pferde gesehen, oder?«
»Gesehen schon, vom Fenster aus, wenn Gäste kamen, die welche hatten, was selten der Fall war. Aber angefasst habe ich noch nie eines. Ich habe mich immer gefragt, wie es wohl ist, auf einem zu sitzen. In all den Büchern geht es immer um Pferde, um Turniere,
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