Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
unglaubliche Kräfte. Es heißt, sie hätten Erdbeben erzeugt, Stürme heraufbeschworen, ja sogar die Sonne verdunkelt. Die bedeutendsten dieser Zauberer bildeten eine Gruppe, die sich der Große Rat der Cenzar nannte. Die Mitglieder gehörten zum innersten Kreis der Regierung.«
»Ach«, sagte Alric nachdenklich.
»Hast du je etwas darüber gelesen, wo genau sich dieses Gefängnis befand?«, fragte Royce.
»Nein, aber ein paar Angaben standen in Mantuars Thesen zur architektonischen Symbolik des novronischen Imperiums . Das ist das bereits erwähnte Pergament, auf dem der Name Esrahaddon abgeändert wurde. Ich fand es eines Tages in einem entlegenen Regal, als ich dabei war, einen alten Teil der Bibliothek aufzuräumen. Es war in miserablem Zustand, enthielt aber das Datum des Baubeginns und ein bisschen etwas über die Leute, die mit den Arbeiten beauftragt wurden. Wenn ich nicht vorher schon Die gesammelten Briefe des Dioylion gelesen gehabt hätte, wäre ich nie auf den Zusammenhang gekommen, weil in dem Dokument ja wie gesagt weder das Gefängnis noch der Gefangene namentlich genannt wurden.«
»Ich verstehe nicht, wie dieses Gefängnis in Melengar existieren kann, ohne dass ich es wusste«, sagte Alric kopfschüttelnd. »Und woher weiß Arista davon? Und warum will sie, dass ich dorthin gehe?«
»Ich dachte, Ihr hättet befunden, dass sie Euch hinschickt, um Euch töten oder einsperren zu lassen«, erinnerte ihn Hadrian.
»Was mir plausibler erscheint als ein tausend Jahre alter Zauberer«, sagte Royce.
»Mag sein«, murmelte Alric, »aber …« Er suchte den Fußboden vor sich nach Antworten ab und spielte nachdenklich mit dem Zeigefinger an seiner Unterlippe herum. »Überlegt doch mal: Wenn sie mich wirklich töten lassen wollte, warum dann an einem so merkwürdigen Ort? Sie hätte euch doch in dieses Kloster schicken und eine ganze Armee hier auf uns lauern lassen können, und niemand hätte etwas mitbekommen. Es ist doch unnötig kompliziert, mich an einen verborgenen Ort schleppen zu lassen, von dem kein Mensch je gehört hat. Warum hätte sie diesen Esrahaddon und dieses Gutaria überhaupt erwähnen sollen?«
»Jetzt seid Ihr also doch der Meinung, dass sie die Wahrheit gesagt hat?«, fragte Royce. »Glaubt Ihr wirklich, dort wartet ein tausend Jahre alter Mann darauf, mit Euch zu reden?«
»So weit würde ich nicht gehen, aber – na ja, bedenkt doch mal die Möglichkeiten, falls es ihn doch gibt. Stellt euch nur einmal vor, was ich von einem solchen Mann alles lernen könnte – einem Ratgeber des letzten Imperators.«
Hadrian schmunzelte. »Langsam klingt Ihr wie ein richtiger König.«
»Vielleicht liegt es ja nur an der Wärme des Feuers und dem Geruch von kochenden Kartoffeln, aber es erscheint mir inzwischen doch eine gute Idee, der Sache nachzugehen. Und ihr seht ja, das Unwetter lässt nach. Bald wird der Regen aufhören. Wenn Arista mich nun doch nicht töten lassen will? Wenn es da wirklich etwas gibt, das ich erfahren muss, etwas, das mit der Ermordung unseres Vaters zu tun hat?«
»Euer Vater wurde ermordet?«, fragte Myron. »Das tut mir leid.«
Alric beachtete den Mönch gar nicht. »Trotzdem, es gefällt mir nicht, dass in meinem Königreich ein uraltes Gefängnis existiert, ohne dass mir je etwas davon zu Ohren gekommen ist. Ich frage mich, ob mein Vater es wusste, oder mein Großvater. Vielleicht hat ja kein Essendon je etwas davon geahnt. Tausend Jahre – das war mehrere Jahrhunderte vor der Gründung Melengars. Das Gefängnis wurde erbaut, als diese Lande noch im Großen Bürgerkrieg umkämpft waren. Wenn es wirklich möglich ist, dass ein Mensch tausend Jahre alt wird, wenn dieser Esrahaddon wirklich ein Ratgeber des letzten Imperators war, würde ich gern mit ihm sprechen. Jeder Edelmann in Apeladorn würde sein linkes Auge dafür geben, mit einem echten Ratgeber aus Imperiumszeiten zu reden. Wie der Mönch schon sagte, so viel Wissen ist beim Untergang des Imperiums verlorengegangen, so vieles dem Vergessen anheimgefallen. Was könnte er alles zu sagen haben! Wie nützlich könnte ein solcher Mann einem jungen König sein!«
»Auch wenn er nur ein Geist ist?«, fragte Royce. »Es ist doch unwahrscheinlich, dass da ein Tausendjähriger in einem Gefängnis gleich nördlich des Sees sitzt.«
»Wenn der Geist sprechen kann, wo liegt da der Unterschied?«
»Der Unterschied liegt darin, dass mir die ganze Sache sehr viel besser gefallen hat, als Ihr nicht hingehen
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