Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
für eine gewöhnliche Dissidentin gehalten.«
Sansan warf Meng einen Seitenblick zu und zuckte die Achseln. »Ich bin der Öffentlichen Sicherheit zum ersten Mal aufgefallen, als ich auf der Uni war. Nicht wegen meiner politischen Aktivitäten, sondern wegen meiner Computerkenntnisse. Die wollten, dass ich für sie arbeite und Systeme betreue und entwickle – oder dass ich in derartige Systeme einbreche, außerhalb von China. Ich habe besondere Kurse belegt. Das war, bevor jemand anders meine antisozialistischen Tendenzen bemerkt hat.«
»Welche Staatsgeheimnisse konnten Sie in Baiyun schon groß stehlen?«, hakte Shan nach.
»Ich habe mich per Computer in die Verwaltungssoftware der Umsiedlungslager eingeklinkt. Die dropkas im Reinen Wasser brauchen mehr Medizin, als sie bekommen.«
Shan sah sie mit neuerlichem Interesse an. »Lassen Sie mal sehen«, sagte er und zeigte auf Mengs Computer.
»Nein!«, protestierte Meng. »Sie können nicht einfach …« Ihre Stimme erstarb. Sansans Finger huschten bereits über die Tastatur.
Wenige Minuten später scrollte Sansan durch Seiten voller Daten aller Lager in Tibet, einschließlich der Listen der Insassen und der vorgesehenen Verteilung der dropkas auf chinesische Fabriken. Bei den Einträgen für das Lager des Reinen Wassers hielt sie an.
»Was ist, wenn irgendein Funktionär eine Anweisung erteilen will? Zum Beispiel dem Verwalter des Lagers des Reinen Wassers.«
»Dazu sind spezielle Sicherheitscodes erforderlich.«
Shan verzog enttäuscht das Gesicht.
»Es dauert nur noch mal ein paar Minuten«, fügte Sansan mit funkelndem Blick hinzu.
Shan beobachtete verwirrt und mit großem Respekt, wie die Frau mit rasender Geschwindigkeit Bildschirme voller Zahlen und Symbole aufrief. Schließlich hob sie erwartungsvoll den Kopf. »Was wollen Sie ihm mitteilen?«
Shan sah Mengs warnenden Blick und erwiderte ihn ruhig, während er mit Sansan sprach. »Ich möchte ihn anweisen, die Enkelin des Clanältesten Rapeche sofort aus ihrer Fabrik in Guangdong zurückzuholen.«
Meng fluchte leise, rührte sich aber nicht.
Als Sansan fertig war, wandte Shan sich an Meng. »Dakpo hat mit erzählt, das Kloster besitze einen Computer«, sagte er.
»Keine Ahnung«, entgegnete Meng und hielt dann inne. »Doch. Ja, tatsächlich. Im Verwaltungsbüro steht einer. Das Büro für Religiöse Angelegenheiten verlangt das inzwischen, damit Erlasse und Anordnungen zügig übermittelt werden können.«
Shan nickte. »Jeder Polizei-Laptop, der mir je untergekommen ist, hat gleich ausgesehen. Habt ihr hier auch welche?«, fragte er Meng.
»Es wurden zwei für die Beamten geschickt, aber die benutzen sie nie. Die Festplatten sind leer.«
Shan füllte seine Tasse nach, ging im Raum umher, musterte das vordere Büro und die Arrestzelle. »Ich habe meine Meinung geändert. Wir werden Liang hierher bitten. Aber erst hol uns einen dieser anderen Computer, und versteck ihn unter dem Schlaflager der Zelle. Sansan wird ihn morgen benötigen.«
***
Als Shan den holprigen Weg zur Hütte des Lama hinauffuhr, fühlte er sich Jamyang näher als je zuvor. Während Lungs Männer die Reparatur des Pick-up abgeschlossen hatten, hatten Shan und der Anführer der Jadekrähen seine Pläne besprochen. Shan hatte Lung mit einem Päckchen Weihrauchstäbchen zurückgelassen und ihm das Versprechen abgenommen, dass er den ganzen Weg bis nach Nepal bei der Amerikanerin bleiben würde. Als Shan gesagt hatte, dass er vermutlich das Tal verlassen müsste, war Lung ganz still geworden. »Warte hier«, hatte der Bandenführer gesagt und war im Haus verschwunden. Als er zurückgekommen war, hatte er Shan eine kleine Götterfigur aus Ton gegeben. »Am ersten Tag habe ich so eine von dir zertrümmert«, hatte er gesagt. »Das hätte ich nicht …« Er hatte die Achseln gezuckt, ohne den Satz zu beenden, und Shans Hand geschüttelt.
Nun holte Shan als Erstes die verzierte Pistole aus ihrem Versteck und verstaute sie zusammen mit Yuans Ahnentafel in seinem Wagen. Dann kehrte er zu dem Schrein zurück. Die Opfergaben lagen immer noch auf dem provisorischen Altar, zusammen mit mehreren Zweigen Heidekraut und im Ofen gebackenen Figuren. Sie waren von den Tibetern zurückgelassen worden, die in den Hügeln lebten. Shan entzündete etwas Weihrauch, nahm dann eine kleine Bronzestatue und fing an, sie zu putzen. Er hatte fast die Hälfte der Altargegenstände gesäubert, als er hinter sich Schritte hörte.
Meng stand neben
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