Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
Mojud vorher gewusst: Ich brauche bloß zwei Jahre Fische zu fangen, ein paar Jahre auf einem Bauernhof zu arbeiten usw., dann bin ich erleuchtet, wäre es kein Kunststück gewesen, auf Khidr zu hören. Bei solch glänzenden Aussichten würden wir reihenweise in den reißenden Lebensfluss springen. Manchmal ist es wichtig, die Stimme unserer inneren Führung auch dann ernst zu nehmen, wenn sie scheinbar Verrücktes oder Unmögliches von uns verlangt, wie das auch im Märchen Der getreue Johannes aus dem Schütze-Kapitel der Fall war.
Der Dummling
Im Märchen ist in dieser Hinsicht die Gestalt des Dummlings interessant (den ich schon im Krebs-Kapitel beschrieben habe), der in den Augen der verstandesorientierten Menschen tatsächlich dumm ist, weil er nicht taktiert, weil er nicht berechnet, keine Um-zu-Haltung lebt. Dafür hat er ein gutes Herz und eine Anbindung ans Unbewusste, wie der Held im Krebs-Märchen Die drei Federn , der immer wieder zur Kröte, in die untere Welt, die Welt des Unbewussten geht.
Marie-Louise von Franz betont, dass für uns westliche Menschen der Archetyp des Dummlings äußerst wichtig sei als Ergänzung zur Philosophie des aktiven Helden, des Machertypus. Der Dummling verkörpert eher eine östliche Lebenshaltung – geschehen lassen, akzeptieren, wirken durch Nichttun -, und das entspricht der Fische-Weisheit mehr als die Haltung des aktiven Helden.
Ist das so?
In dem Dorf, in dem der alte Zen-Meister Hakuin lebte, wurde einst ein junges Mädchen schwanger. Ihr Vater war darüber entsetzt und zwang das Mädchen, den Namen ihres Liebhabers preiszugeben. Das Mädchen traute sich jedoch nicht, den richtigen Namen zu verraten, und sagte einfach: »Hakuin ist der Vater.« Als das Kind geboren war, brachte der Vater des Mädchens es dem alten Meister mit den Worten: »So, hier hast du dein Kind. Du hast meine Tochter geschwängert, du alter Lüstling, und jetzt übernimm auch Verantwortung für dieses Kind, das deines ist.« Der alte Meister sagte nur vollkommen ungerührt: »Ist das so?« Er nahm das Kind bei sich auf und zog es liebevoll groß. Nach einigen Jahren bekam die Mutter des Kindes Sehnsucht nach ihm und beichtete ihrem Vater, wer der wirkliche Kindsvater war, woraufhin dieser zu Hakuin ging und sich vor ihm auf die Knie warf: »Es tut mir so leid, ich hab dich ungerecht beschuldigt, alter Mann, du bist ja gar nicht der Vater dieses Kindes.« Da sagte der alte Mann: »Ist das so?«, und gab das Kind wieder zurück.
Das Mädchen ohne Hände
Dieses Märchen enthält besonders viele Fische-Motive. Wer eine ausführliche Deutung lesen möchte, findet sie im gleichnamigen Buch von Eugen Drewermann. In der Ausgangssituation, die ich hier beleuchten will, ist die Rede von einem armen Müller, der seine Kinder kaum noch ernähren kann. Er begegnet im Wald dem Teufel, und dieser sagt zu ihm: »Ich will dir aus deiner schwierigen Lage helfen, aber du musst mir geben, was hinter deinem Hause steht.« Der Vater willigt ein, denn er denkt, das ist bloß der alte Apfelbaum, aber als er nach Hause kommt, da findet er genau an diesem Platz seine jüngste und liebste Tochter. Da sagt der Vater zu dem Kind: »Es tut mir entsetzlich leid, aber wenn du nicht zum Teufel gehst, dann müssen wir alle verhungern.« Das ist ein schönes Wort, jemanden zum Teufel zu schicken. Das Mädchen ist nicht etwa empört, wie ein Widder-Mädchen das vielleicht wäre, sondern es versteht den Vater und sagt: »Macht mit mir, was ihr wollt, ich bin euer Kind.« Aber es zieht einen Kreidekreis um sich und schützt sich so vor der Macht des Teufels. Da wird dieser wütend und sagt dem Vater: »Du musst ihr die Hände abhacken, sonst bekomme ich keine Macht über sie.« Wieder geht der Vater zu seinem Kind und sagt: »Mein liebes Töchterchen, es tut mir unglaublich leid, aber wenn ich dir jetzt nicht die Hände abhacke, müssen wir alle verhungern.« Das Mädchen sagt: »Ist schon gut, Vater«, und lässt sich vom Vater die Hände abhacken. Aber dann weint es so lange auf diese Stümpfe, dass es dadurch für den Teufel zu rein und unerreichbar wird. Das Mädchen in dieser Geschichte muss unglaublich viel erdulden und erleiden; der Sohn, den sie gebiert, trägt den Namen »Schmerzenreich«.
Hier wird ein zentrales Fische-Problem dargestellt: die Bereitschaft, sich anderen Menschen zuliebe, in diesem Fall dem Vater zuliebe, »handlungsunfähig« machen zu lassen. Sich vom Vater die Hände abhacken zu lassen ist ein
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