Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
oder die Heldin, desto dunkler und unheimlicher der Gegenspieler. Unschuld zieht das Böse an. In jedem Paradies wohnt eine Schlange, die Perle liegt immer neben dem Drachen. Das sind alte Märchenweisheiten.
Märchen beinhalten zeitlose Wahrheiten, die in allen Zeiten und Kulturen dieselben sind. Dadurch gewähren sie Zugang zu dem, was Carl Gustav Jung »das kollektive Unbewusste« genannt hat, in der Anatomie der menschlichen Psyche der Bereich, in dem wir alle gleich sind, egal wo wir leben, wann wir leben, wie wir leben.
Meine Tochter hat Sonne in Zwillinge, und ich habe die Zwillinge-Erwartung als Vater immer sehr stark gespürt: Erzähl mir noch eine Geschichte! Sie wollte die Geschichten, die ich in meinen Gruppen erzähle, immer wieder hören. Als sie dann sah, dass ich oft mit Traumreisen und Imaginationen, mit inneren Bildern, arbeitete, wollte sie unbedingt auch eine Traumreise machen. Sie war damals vier oder fünf Jahre alt, und ich sagte zu ihr: »Gut, leg dich hin, schließ deine Augen und lass vor deinem inneren Auge einen Weg in einer Sommerlandschaft auftauchen. Jetzt gehst du diesen Weg entlang.« Da unterbrach sie mich sofort und sagte: »Falsch, Papa, links ist Sommer, rechts ist Winter.« Das war lange bevor sie irgendetwas über Zwillinge wusste.
Eine schöne Geschichte zum Thema Polarität stammt von Khalil Gibran. Ein Priester findet auf seinem Nachhauseweg den zu Tode verwundeten Teufel, und dieser fleht ihn an: »Bitte, guter Mann, nimm mich mit nach Hause und pflege mich gesund, sonst muss ich elendig im Straßengraben sterben.« Auf diese Gelegenheit hatte der Priester nur gewartet. »Ich soll dich retten? Du bist die Wurzel allen Übels, stirb nur, dann ist die Menschheit endlich von deiner dunklen Macht befreit.« Da beginnt der Teufel auf den Priester einzureden, und im Lauf des Gesprächs gelingt es ihm tatsächlich, den Priester davon zu überzeugen, dass dieser ohne ihn überhaupt keine Daseinsberechtigung mehr hätte. Am Ende ist der Priester so überzeugt, dass er den Teufel liebevoll auf den Arm nimmt, zu sich nach Hause trägt und ihn dort fürsorglich gesund pflegt. Das Spiel der Polaritäten kann weitergehen.
Ein paar Worte zur Polarität von Reden und Schweigen. Lao-tse sagt: »Wer weiß, redet nicht, wer redet, weiß nicht.« Und über die Macht der Gedanken und des inneren Quatschkopfes sagt Martin Buber: »Du kannst den Kehricht (der Gedanken) dahin und dorthin kehren, er bleibt immer Kehricht. In derselben Zeit könntest du zur Freude des Universums Perlenschnüre aufreihen.« Das Ziel von Meditation ist immer auch, den inneren Quatschkopf zum Schweigen zu bringen, den inneren Dialog anzuhalten, wie Don Juan sagt.
Noch eine Geschichte zu diesem Thema. Drei Schüler kommen zu einem Meister und fragen ihn: »Meister, welche Aufgabe hast du für uns?« Dieser sagt: »Ganz einfach, ihr dürft ab jetzt nicht sprechen.« Sagt der Erste: »Ich werde nicht sprechen.« Sagt der Zweite: »Aha, du hast ja schon gesprochen.« Sagt der Dritte: »Ich habe als Einziger nicht gesprochen.«
Merkur
Eine zentrale Figur der Zwillinge-Welt ist Hermes/ Merkur, der traditionelle Herrscher dieses Zeichens. Hermes war der Beschützer der Redner und Philosophen, der Händler und Kaufleute und zugleich der Diebe, Lügner und Betrüger, er war der Trickser-Gott. Hermes war ein pfiffiger, frühreifer Knabe, der schon am Tag nach seiner Geburt Apollon seine Rinderherde stahl. Dabei wurde er ertappt, obwohl er auf der Flucht einen genialen, Zwillinge-gemäßen Trick anwendete: Er zog sich die Schuhe verkehrt herum an, um Apollon in die falsche Richtung zu locken. Apollon spürte ihn jedoch trotzdem auf, und als Hermes erwischt wurde, schenkte er Apollon zur Besänftigung schnell eine Leier, die er aus einem Schildkrötenpanzer gebaut hatte. Apollon war so begeistert von dieser Leier, dass er Hermes verzieh und ihm sogar einige seiner Rinder überließ.
Hermes hatte in jeder Situation einen rettenden Einfall und war außerordentlich schnell (Merkur ist ja auch ein außerordentlich schneller Planet, der die Sonne in nur 88 Tagen umkreist). Dieser Gott hatte keinen festen Wohnsitz auf dem Olymp, er war sozusagen der Nomade unter den Olympiern. Auch das Merkur-Symbol ist interessant. Betrachtet man die Planetensymbole näher, sieht man, dass sie alle aus verschiedenen Kombinationen von Halbkreis, Kreis und Kreuz bestehen. Das Merkur-Symbol ist das einzige, das alle drei Teilsymbole enthält: an
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