Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
führt, die man durch bessere Argumente gewinnt.
Bei den Traumreisen, die ich in meinen Gruppen mache, schicke ich die Teilnehmer manchmal auf die Reise in die Welt des inneren Kriegers (die so genannte Mars-oder Widder-Traumreise), in der sie in eine Arena kommen und sich in einem Zweikampf erleben. Menschen mit Zwillinge-Mars sehen diese Arena oft als eine Art Podium, auf dem eine Diskussion stattfindet, wo es darum geht, den Gegner geistig zu schlagen. Bei Zwillinge-Mars haben wir es nicht mit dem standhaften Krieger zu tun, der den Gegner abprallen lässt (wie es bei Stier-Mars der Fall war), sondern mit einem flexiblen, wendigen, reaktionsschnellen Krieger, der jene Art von Energie verkörpert, die man beim Fechten oder beim Tischtennis braucht. Der barbarische Widder-Herrscher ist hier sozusagen »vergeistigt«, er verliert dadurch seine ursprüngliche Ungestümheit und Wildheit. Eine Waffe dieses Kriegers ist die Rationalisierung, und es kann passieren, dass die Wut, die rote Energie, die eigentlich zu Mars gehört, durch diesen Filter allzu kopflastig wird.
Auf der sexuellen Ebene ist der Zwillinge-Mars der Charmeur, der Filou, der mit Worten verführen kann, der Odysseus der Liebe, der alle Tricks kennt, um eine Frau herumzukriegen, der ein erfindungsreicher Geliebter sein kann, aber natürlich auch ein Windhund. In der negativen Ausprägung kann Sexualität hier sehr weit abgelöst sein vom Herzen und vorwiegend im Kopf stattfinden. Das Männerbild einer Frau mit Zwillinge-Mars ist stark vom Puer aeternus geprägt, zumindest wenn es sich um den Geliebten handelt. Frauen mit dieser Konstellation haben eine Affinität zu den charmanten Windbeuteln, die sie zum Fliegen bringen und dann auf einmal verschwunden sind. Sie verlieben sich eher in einen Germanistikstudenten im 88. Semester als in einen braven Vater-oder Schwiegersohntypus. Wenn man so einen Luftikus genießen und Sexualität und Begegnung mit Männern unter dem Aspekt von Leichtigkeit und Spiel und Komödie sehen kann, hat man schon gewonnen. Wenn man jedoch mit der Haltung herangeht: Jetzt haben wir uns schon dreimal getroffen und müssen allmählich an die Doppelhaushälfte denken, dann gibt es Probleme. Wer begreift, dass er diesen Puer aeternus auch in sich selbst trägt, der kann die Fähigkeit entwickeln, Liebe, Sexualität, Begegnung frei und verspielt wie ein Schmetterling zu leben.
Krebs
Rabia
In Indien gibt es eine weise Frau namens Rabia, die eines Tages auf dem Marktplatz gesehen wird, wo sie fieberhaft nach etwas zu suchen scheint. Die Leute bemerken das und fragen sie: »Was hast du denn verloren, können wir dir irgendwie bei der Suche helfen?« Und sie sagt: »Ich habe meine Nähnadel verloren.« Da fragen die Leute: »Sag uns doch ungefähr, wo du sie verloren hast, dann können wir dir helfen.« Und sie antwortet: »Na ja, ich hab sie bei mir zu Hause verloren.« Jetzt sind die Leute natürlich verwirrt und wollen wissen: »Ja, wenn du sie zu Hause verloren hast, warum suchst du sie dann hier auf dem Marktplatz?« Da erwidert sie: »Ich möchte euch nur einen Spiegel vorhalten: Ihr alle sucht draußen etwas, was ihr drinnen verloren habt.«
Der Goldschatz
Eine zweite Geschichte spielt in der Nähe von Krakau in einem kleinen Dorf. Hier wohnt der alte Rabbi Eisik, Sohn des Jekel, und der hat eines Nachts einen Traum. Es träumt ihm, dass in Prag unter der großen Brücke, die zur Burg führt, ein Goldschatz vergraben ist. Also nimmt er sein letztes Geld, um die Reise zu bezahlen, und macht sich auf den Weg. In Prag findet er tatsächlich die Brücke zur Burg, aber die wird von Soldaten bewacht, und deswegen traut er sich nicht, dort zu graben. Einer dieser Soldaten, der ihn dort unruhig herumstreifen sieht, wird neugierig und fragt ihn, was er will. Notgedrungen erzählt Eisik, was ihn dorthin geführt hat: »Ich hatte diesen Traum, und ich möchte nun gern den Goldschatz ausgraben.« Der Soldat lacht herzlich und sagt: »Ach Gott, wenn ich meinen Träumen Glauben schenken würde! Mir träumte vor kurzem, dass irgendwo in der Nähe von Krakau in einem kleinen Dorf im Haus des Eisik, Sohn des Jekel, ein Goldschatz unter dem Herd vergraben liegt. Aber deswegen mache ich doch nicht die lange Reise nach Krakau!« Eisik sagt kein Wort mehr, sondern macht sich sofort auf die Heimreise; zu Hause gräbt er unter seinem Herd und findet tatsächlich einen Goldschatz. Dazu passt das Sprichwort: Ein Esel fährt übers Meer, ein Esel
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