Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
Nachfolger des Königs.
Was bedeutet das? Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass der Dummling eine Gestalt ist, die in Märchen aller Kulturen auftaucht. Er ist nicht wirklich dumm, aber er ist es aus der Sicht der intellektuellen, taktischen Trickster-Typen. Seine Weisheit ist die Anbindung an das Unbewusste, an die Tiefenwelt der Kröte, einem Symboltier aus dem Reich des großen Mütterlichen wegen ihrer Fruchtbarkeit und Nähe zu den weiblichen Elementen Wasser und Erde. Zur Kröte gehen heißt, sich an die Weisheit des Unbewussten anzuschließen.
Wichtig ist weiterhin, dass dieser Dummling ein absichtsloser Held ist, dem die Dinge einfach so geschehen. Laut Marie-Louise von Franz, einer Schülerin von C. G. Jung, ist der Archetyp des Dummlings für unsere westliche Welt deshalb so wichtig, weil wir normalerweise nur den aktiven Helden bewundern und fordern, also jenen Helden, der Ziele hat und mit dem Schwert für sie kämpft. Die Heldentaten des Dummlings erfolgen jedoch genau anders herum. Nach dem Motto »Der Weise tut nichts, doch bleibt nichts ungetan« (Lao-tse) sitzt er einfach auf dem Boden, und einfach so entdeckt er die Tür. Einfach so öffnet er sie und geht nach unten. Hätte er gewusst: Da muss irgendwo eine Falltür sein, wenn ich die aufmache, gehe ich hinunter und finde eine Kröte, von der kriege ich einen Teppich und eine schöne Frau, dann wäre es eine andere Geschichte. Aber in vielen Märchen werden entscheidende Wendungen durch diese »Einfach-so-Situationen« herbeigeführt; nicht die »Um-zu-Haltung« des Helden führt zum Erfolg, sondern Vorgänge, von denen der bewusste Verstand gar nichts weiß. Diese »Einfach-so-Haltung« wirkt von der üblichen Sichtweise unserer leistungsorientierten Kultur aus betrachtet ziemlich bequem; der Dummling gilt als dumm, was er nicht wirklich ist. Die älteren Brüder können es gar nicht fassen, dass ausgerechnet er König wird. Doch das ist typisch für die Krebs-Entwicklung: Man »gerät« eher auf den Königsthron, als dass man ihn bewusst anstrebt. In Kreuzwegsituationen des Lebens folgt man eher einer Ahnung, dem Bauchgefühl, als taktischen Überlegungen.
Gottesbilder
Ein tragisches Märchenmotiv ist die fehlende Königin oder Mutter am Anfang vieler Geschichten. Das hat auch einen kollektiven Aspekt; alle Märchen lassen sich individuell und kollektiv lesen. Auch Aschenputtel zum Beispiel beginnt damit, dass die gute Mutter gestorben ist; Hildegunde Wöller schreibt zu diesem Thema, dass hier nicht irgendeine Mutter gestorben ist, sondern die Mutter, die große Göttin, die im Patriarchat vertrieben wurde. Das erklärt auch, weshalb es so viele Märchen gibt, in denen am Anfang ein König ohne Königin ist, wo also das patriarchale Sonnenhafte und das matriarchale Mondhafte nicht gleichwertig vertreten sind. Die meisten Menschen wissen, wo ihre Sonne steht, das ist »ihr Tierkreiszeichen«. Sie kennen vielleicht noch ihren Aszendenten, aber nur wenige wissen, wo ihr Mond steht. Dabei sind doch Sonne und Mond als Tages-und Nachtgestirn absolut gleichwertig.
In unseren Religionen und Gottesbildern jedoch gibt es ein jahrtausendealtes Ungleichgewicht. Wir beten, wie schon gesagt, nicht zu Mutter-Tochter-Heiliger Geist, sondern zu Vater-Sohn-Heiliger Geist, unser Gebet heißt »Vaterunser« und nicht »Mutterunser«. Wir haben keine ebenbürtige weibliche Gefährtin für Christus. Die zeitgemäße Theologie fordert zwar um der Gleichwertigkeit willen, Christus eine Sophia, eine Weisheitsgöttin, an die Seite zu stellen, aber von dieser revolutionären Veränderung sind wir wohl noch weit entfernt. Dieses Ungleichgewicht von Sonnen-und Mondwelt ist die große Tragödie der letzten Jahrtausende, mit deren Folgen wir heute zurechtkommen müssen. Dabei geht es nicht darum, ein neues Matriarchat zu errichten, aber die zentrale Aufgabe unseres Zeitalters ist es sicherlich, eine neue Gleichwertigkeit des Männlichen und des Weiblichen auf allen Ebenen herzustellen. Das gilt für Mann/Frau-Beziehungen genauso wie für Gottesbilder, für die sichtbare und unsichtbare, bewusste und unbewusste, obere und untere Welt. Krebs-betonte Menschen können sehr viel zur Rehabilitierung des Archetyps des großen Mütterlichen beitragen.
Mond in Krebs
Mond ist der Herrscher im Zeichen Krebs, er ist hier in seinem Domizil. In der griechischen Mythologie gibt es eine Figur, die sehr gut hierher passt: Endymion war ein so schöner Jüngling, dass er im
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