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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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zu tun.
    Lord Hulton schaute auf das tote Tier. »Glauben Sie, wir können ihr Fleisch noch verwerten?«
    »Ein typischer Fall von Hypomagnesaemia – eigentlich ist das ungefährlich. Natürlich hängt alles davon ab, was der Fleischbeschauer sagt.«
    Die Kuh wurde ausgeblutet, in einen Lieferwagen verladen, und der Lord fuhr sie zum Schlachthof. Er kam zurück, als ich gerade die letzte Kuh testete.
    »Wie ist es gegangen?« fragte ich.
    Er zögerte. »Leider – leider schlecht, lieber Herriot«, sagte er traurig.
    »Aber warum denn? Hat der Fleischbeschauer Ihnen den Befund erklärt?«
    »Ach... bis zum Fleischbeschauer bin ich gar nicht vorgedrungen... Ich habe nur mit einem Schlachter gesprochen.«
    »Und was hat der gesagt?«
    »Nur zwei Worte, Herriot.«
    »Zwei Worte...?«
    »Ja... Hau ab!«
    Ich nickte. Ich konnte mir die Szene leicht vorstellen. Vermutlich hatte der Schlachter die unscheinbare Gestalt nur kurz gemustert und dann beschlossen, sich von einem lumpigen Landarbeiter nicht bei der Arbeit stören zu lassen.
    »Machen Sie sich nichts draus«, sagte ich. »Sie haben es wenigstens versucht.«
    »Ja, allerdings, alter Junge.« Er ließ ein paar Streichhölzer fallen, während er sich abermals vergeblich bemühte, sich die Pfeife anzuzünden.
    Als ich in den Wagen stieg, erinnerte ich mich an das Propamidin. »Vergessen Sie nicht, die Salbe abholen zu lassen.«
    »Ach ja, natürlich! Ich komme nach dem Mittagessen vorbei. Ein wahres Wundermittel dieses Prom... Pram... Charlie! Wie zum Teufel heißt es denn!«
    Charlie wurde zwei Nummern größer. »Propopamid, Eure Lordschaft.«
    »Natürlich. Propopamid!« Lord Hulton war wieder bester Laune. »Charlie, mein Junge, dein Gedächtnis ist Gold wert!«
    »Danke, Eure Lordschaft.« Mit dem Ausdruck eines berühmten Fachmanns machte sich Charlie daran, das Vieh auf die Koppel zurückzutreiben.
     
    Oft will es der Zufall, daß man einen Kunden, bei dem man gerade einen Fall abgeschlossen hat, kurz danach wegen eines anderen Falles wieder besuchen muß. Eine Woche später – es war inzwischen kalt geworden – weckte mich das Telefon aus dem tiefsten Schlaf.
    Wie immer klopfte mir wild das Herz – Tierarzt ist ein ungesunder Beruf –, ehe ich verschlafen nach dem Apparat auf dem Nachttisch angelte.
    »Ja?« brummte ich.
    »Herriot... Sind Sie das, Herriot?« Seine Stimme war unverkennbar, klang aber sehr nervös.
    »Ja, Lord Hulton.«
    »Oh, wie gut – ach, verflucht, entschuldigen Sie bitte. Es ist mir schrecklich peinlich, daß ich Sie mitten in der Nacht wecken muß, aber ich habe hier einen verdammt eigenartigen Fall.« Ich hörte, wie eine ganze Ladung Streichhölzer zu Boden ging.
    Ich gähnte, und die Augen fielen mir zu. »Was ist es denn für ein Fall?«
    »Heute nacht hat eine meiner besten Säue geferkelt. Ich war die ganze Zeit dabei. Sie hat zwölf prächtige Ferkel geworfen, aber dann ist etwas sehr Merkwürdiges passiert.«
    »Was denn?«
    »Schwer zu beschreiben, alter Junge... aber – Sie wissen schon, die Öffnung – da hängt so ein großes blutiges Ding heraus.«
    Ich riß die Augen auf, und meiner Kehle entrang sich ein lautloser Schrei. Gebärmuttervorfall! Ein hartes Stück Arbeit, wenn es bei Kühen vorkommt, bei Schafen ein Kinderspiel, bei Säuen irreparabel.
    Meine Zehen verkrampften sich unter der Bettdecke. Ich hätte Lord Hulton erzählen können, daß ich bis jetzt fünf Uterusprolapse bei Schweinen erlebt hatte, und daß ich in allen fünf Fällen aufgegeben hatte. Es war im Grunde aussichtslos, aber versuchen mußte ich es.
    »Ich komme sofort«, stammelte ich.
    Ich schaute auf den Wecker. Es war halb sechs. Eine abscheuliche Zeit zum Aufstehen, und seit ich verheiratet war, war es mir erst recht verhaßt, so früh aus dem Bett gerissen zu werden. So war ich nicht ausgesprochen fröhlich, als ich mich auf den Weg zu Lord Hulton machte; und die Erinnerung an die fünf anderen Säue war alles andere als aufmunternd. Jedesmal hatte sich meine Patientin in Wurst und Schinken verwandelt – ein schwerer Schlag für mein Selbstbewußtsein.
    Es war eine mondlose Nacht, und das schwache Licht aus der Tür des Schweinestalls leuchtete einsam auf der großen Farm. Lord Hulton erwartete mich in der Einfahrt, und ich hielt es für besser, ihn gleich zu warnen.
    »Ich muß Ihnen sagen, daß es schlimm steht. Machen Sie sich bitte keine allzu großen Hoffnungen. In fast allen solchen Fällen muß notgeschlachtet werden.«
    Die Augen

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