Der Tierarzt kommt
einziges Mal erlebt hatte. »Ich habe ein paar Pillen, die ihm vielleicht helfen.«
Ich gab ihm einige arsenhaltige Tabletten, die in meinem einzigen erfolgreichen Fall zu einer Besserung geführt hatten. Allerdings wußte ich nicht einmal, ob sie wirklich etwas nützten, aber mehr hatte ich nicht zu bieten.
In den nächsten zwei Wochen nahm Dukes Krankheit den klassischen Verlauf. Alles, was ich befürchtete, trat nacheinander ein. Das Zucken ging vom Kopf auf die Vorderläufe und dann auf das Hinterteil über.
Der Junge brachte ihn jeden Tag, und ich versuchte Wes klarzumachen, daß es keine Hoffnung mehr gab. Aber er wollte nichts davon hören, trug weiter Zeitungen aus oder verdiente sich anderweitig Geld, um mich zu bezahlen, obgleich ich es nicht wollte. Dann kam er eines Nachmittags allein.
»Ich konnte Duke nicht mitbringen«, stammelte er. »Er kann nicht gehen. Könnten Sie mitkommen und ihn sich ansehen?«
Wir setzten uns in meinen Wagen. Es war ein Sonntagnachmittag, und die Straßen waren menschenleer. Er führte mich auf einen gepflasterten Hof und öffnete die Tür zu einem baufälligen Haus.
Als ich eintrat, schlug mir entsetzlicher Gestank entgegen. Tierärzte auf dem Lande sind gewöhnlich nicht empfindlich, aber hier drehte sich mir der Magen um. Mrs. Binks war sehr dick, trug ein verdrecktes Kleid, das wie ein Sack an ihr hing, und saß zusammengesunken mit einer Zigarette im Mund am Küchentisch. Sie war in die Lektüre eines Groschenheftes vertieft, das inmitten eines Haufens schmutziger Teller und Lockenwickler lag, und sie nickte uns kurz zu.
Ihr Mann lag mit offenem Mund auf dem Sofa unter dem Fenster, schnarchte dröhnend und stank nach schalem Bier. Der Spültisch, in dem ebenfalls schmutzige Teller lagen, war mit einer ekligen grünen Schicht überzogen. Kleidungsstücke, Zeitungen und Abfälle aller Art lagen am Boden herum, und ein Radio plärrte in voller Lautstärke.
Der einzige saubere Gegenstand war der Hundekorb in der Ecke. Ich trat auf ihn zu und beugte mich über das kleine Tier. Der arme Duke lag völlig hilflos da und zuckte am ganzen Körper. Er war abgemagert, und seine starr blickenden Augen hatten sich wieder mit Eiter gefüllt.
»Wes«, sagte ich. »Jetzt mußt du mir erlauben, ihn einzuschläfern.«
Er antwortete nicht, und als ich es ihm zu erklären versuchte, übertönte das Radio meine Worte. Ich blickte zu seiner Mutter.
»Könnten Sie das Radio etwas leiser stellen?«
Sie nickte, und der Junge ging an den Apparat und stellte ihn ab. Ich versuchte es noch einmal.
»Glaub mir, es ist die einzige Lösung. Du kannst ihn nicht so kläglich eingehen lassen.«
Er sah mich nicht an. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Hund gerichtet. Dann flüsterte er: »Ja, machen Sie’s.«
Ich lief zum Wagen, um das Nembutal zu holen.
»Ich verspreche dir, daß es ihm nicht weh tut«, sagte ich, während ich die Spritze füllte. Und das kleine Tier winselte auch kaum, bevor es ganz still lag und nicht mehr zuckte.
Ich packte die Spritze ein. »Soll ich ihn mitnehmen, Wes?«
Wes sah mich erschrocken an. Seine Mutter sagte: »Ja, weg mit ihm. Hab das Mistvieh nie im Haus haben wollen.« Sie vergrub sich wieder in ihre Lektüre.
Ich nahm den kleinen Hund und ging hinaus. Wes folgte mir und sah zu, wie ich Duke sanft in den Kofferraum auf meinen schwarzen Arbeitskittel legte.
Als ich den Deckel schloß, hielt er sich die Fäuste vor die Augen, und sein Körper bebte. Ich legte ihm den Arm um die Schultern, und als er sich einen Augenblick lang an mich lehnte, fragte ich mich, ob er je in seinem Leben Gelegenheit gehabt hatte, sich so auszuweinen.
Aber schnell trat er zurück und wischte sich die Tränen vom schmutzigen Gesicht.
»Gehst du ins Haus zurück, Wes?« fragte ich.
Er blinzelte und sah mich dann wieder mit seinem trotzigen Ausdruck an.
»Nein«, sagte er und lief weg. Er blickte sich nicht um, und ich sah ihm nach, wie er über die Straße ging, über eine Mauer kletterte und dann über die Felder zum Fluß rannte.
Von da an trug Wes keine Zeitungen mehr aus. Er spielte mir zwar keine bösen Streiche mehr, trieb es aber auf andere Art in der Folge immer schlimmer. Er setzte Scheunen in Brand, wurde wegen Diebstahl belangt, und als er dreizehn war, klaute er Autos.
Schließlich wurde er in eine Erziehungsanstalt geschickt und verschwand dann völlig aus der Gegend. Niemand wußte, wo er war, und die meisten Leute vergaßen ihn. Nur der Ortspolizist
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