Der Tierarzt kommt
war, und seine Mutter hatte wieder geheiratet.
Seltsamerweise sollte ich bald Gelegenheit haben, Wesley besser kennenzulernen. Etwa eine Woche später – ich hatte mich noch nicht ganz von dem peinlichen Unfall erholt – saß er bei mir im Wartezimmer. Er hielt einen mageren, kleinen schwarzen Hund auf dem Schoß.
Ich konnte es kaum fassen. Schon oft hatte ich mir die Worte zurechtgelegt, die ich ihm bei dieser Gelegenheit sagen wollte, aber der Anblick des Hundes hielt mich zurück. Schließlich ging es um einen Patienten.
Ich zog den weißen Kittel über und ging hinein.
»Was kann ich für dich tun?« fragte ich kühl.
Der Junge stand auf, Trotz und Verzweiflung im Blick, und ich sah ihm an, daß es ihn viel gekostet hatte, dieses Haus zu betreten.
»Mein Hund ist krank«, stammelte er.
»Bring ihn hier herein.« Ich führte ihn in das Sprechzimmer.
»Setz ihn auf den Tisch«, sagte ich, und als er das kleine Tier aufhob, beschloß ich, die Gelegenheit nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. Während ich den Hund untersuchte, wollte ich so ganz nebenbei über gewisse Ereignisse sprechen. Ich wollte gerade etwa sagen: »Was sollen eigentlich all diese blöden Streiche?« als ich einen Blick auf den Hund warf – und da war auf einmal alles andere verflogen.
Er war noch jung und eine abenteuerliche Kreuzung. Das glänzende schwarze Fell konnte von einem Labrador stammen, die spitze Nase und die aufrechtstehenden Ohren wiesen auf einen Terrier hin, aber der lange gewundene Schwanz und die X-beinigen Vorderläufe waren mir ein Rätsel. Jedenfalls war er ein hübscher kleiner Kerl mit einem sanften, ausdrucksvollen Gesicht.
Was jedoch meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die gelben Eiterklumpen in den Augenwinkeln, der schleimige Nasenausfluß und die Lichtempfindlichkeit. Wenn ich ihn mit dem Kopf zum Fenster hielt, blinzelte er schmerzhaft.
Die klassische Staupe ist zwar leicht festzustellen, aber diese Diagnose ist nie befriedigend.
»Ich wußte gar nicht, daß du einen Hund hast«, sagte ich. »Seit wann hast du ihn?«
»Vier Wochen. Ein Freund hat ihn aus dem Tierheim in Hartington, und ich hab ihn gekauft.«
»Ach so.« Ich maß die Temperatur und war nicht überrascht, daß er 42 Grad Fieber hatte.
»Wie alt ist er?«
»Neun Monate.«
Ich nickte. Das schlimmste Alter.
Ich stellte noch einige Fragen, aber ich kannte die Antworten im voraus.
Ja, der Hund war seit einer Woche nicht ganz auf dem Posten. Nein, nicht eigentlich krank, aber unruhig, und er hustete gelegentlich. Und natürlich war der Junge erst zu mir gekommen, nachdem er den Ausfluß an Augen und Nase bemerkt hatte. Man bringt sie uns fast immer erst dann – wenn es zu spät ist.
Wesley erzählte mir das alles, wie um sich zu verteidigen, und dabei schaute er mich so an, als erwarte er, daß ich ihm jeden Moment ins Ohr kneifen würde. Aber bei näherer Betrachtung entpuppte sich der kleine Teufelsbraten als ein Kind, das ohne Liebe aufgewachsen war. Er war unheimlich schmutzig, und was mich am meisten entsetzte, war der säuerliche Geruch des ungewaschenen kleinen Körpers. Ich hätte nie gedacht, daß es noch solche Kinder in Darrowby gab.
Als er all meine Fragen beantwortet hatte, gab er sich einen Ruck und fragte seinerseits: »Was fehlt ihm?«
Ich zögerte. »Er hat die Staupe, Wes.«
»Was ist das?«
»Eine böse Infektionskrankheit. Er muß sich bei einem anderen Hund angesteckt haben.«
»Wird er wieder gesund?«
»Hoffentlich. Ich tue, was ich kann.« Ich brachte es nicht fertig, einem Zehnjährigen zu sagen, daß sein Hund wahrscheinlich sterben würde.
Ich füllte eine Spritze mit Macterinmixtur, die wir damals gegen die Nebeninfektionen bei Staupe anwandten. Es hat nie viel geholfen, und selbst heute mit all unseren Antibiotika können wir nicht viel gegen diese Krankheit ausrichten. Wenn man einen Fall sehr frühzeitig bekommt, kann man ihn mit einer Injektion von hyperimmunisierendem Serum heilen.
Der Hund winselte, als er die Spritze bekam, und der Junge streckte die Hand aus und streichelte ihn.
»Laß nur, Duke«, sagte er.
»Heißt er so? Duke?«
»Ja.« Er streichelte ihm die Ohren, der Hund drehte den Kopf, wedelte mit seinem seltsamen, langen Schwanz und leckte ihm die Hand. Wes lächelte und sah mich an, und einen kurzen Augenblick lang fiel die harte Maske von dem schmutzigen Gesicht, und eine reine Freude glänzte in seinen wilden Augen auf. Ich fluchte in mich hinein. Das machte es
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