Der Tierarzt kommt
nur noch schlimmer.
Ich tat Borsäurekristalle in eine Schachtel und gab sie ihm. »Die mußt du in Wasser auflösen und ihm damit die Augen und die Nase auswaschen. Schau mal, wie seine Nüstern verstopft sind – du kannst ihm das Atmen sehr erleichtern.«
Er nahm die Schachtel wortlos an sich und warf drei Shilling und Sixpence auf den Tisch. Das entsprach unserem Normaltarif.
»Wann soll ich wiederkommen?« fragte er.
Ich sah ihn skeptisch an. Ich konnte ihm nur noch mehr Spritzen geben, aber machte das noch einen Unterschied?
Der Junge hatte mein Zögern mißverstanden.
»Ich kann bezahlen!« platzte er heraus.
»Das habe ich nicht gemeint, Wes. Ich habe mir nur überlegt, wann es am besten wäre. Wie wär’s mit Donnerstag?«
Er nickte eifrig.
Das alte Gefühl der Hilflosigkeit überfiel mich, als ich den Tisch mit einem Desinfektionsmittel abwischte. Der Tierarzt von heute sieht nicht annähernd so viele Fälle von Staupe, wie es bei uns damals üblich war, denn die meisten Leute lassen die Welpen so früh wie möglich impfen. Aber in den dreißiger Jahren gab es nur wenige solcher glücklichen Hunde.
In den nächsten drei Wochen war Wesley wie verwandelt. Plötzlich war er ein wahres Muster von Fleiß, trug morgens Zeitungen aus, machte Gartenarbeiten, half das Vieh auf den Markt zu treiben. Ich war vielleicht der einzige, der wußte, daß er es nur für Duke tat.
Alle zwei, drei Tage kam er mit dem Hund zu mir und bezahlte stets auf der Stelle. Natürlich berechnete ich ihm das absolute Minimum, aber er gab sein Geld auch für andere Dinge aus – Fleisch, Milch und Hundekuchen.
»Duke sieht heute sehr elegant aus«, sagte ich bei einem seiner Besuche. »Er hat ein neues Halsband – und die Leine ist auch neu.«
Der Junge nickte schüchtern, dann sah er mich besorgt an. »Geht es ihm besser?«
»Nun, Wes, viel hat sich nicht verändert. So geht’s halt bei Staupe – es zieht sich hin.«
»Wann... wann werden Sie es wissen?«
Ich dachte nach. Vielleicht würde er sich weniger Sorgen machen, wenn er die Lage erfaßte. »Es ist so. Duke wird vielleicht wieder gesund, wenn er die nervlichen Komplikationen der Staupe nicht bekommt.«
»Was sind die?«
»Krämpfe, Lähmungen und etwas, was man Chorea nennt, und das ist ein Zucken der Muskeln.«
»Und wenn er das kriegt?«
»Dann sind die Aussichten schlecht. Aber nicht alle Hunde bekommen das.« Ich bemühte mich, zuversichtlich zu lächeln. »Und dann spricht noch etwas zu Dukes Gunsten – er ist nicht reinrassig. Die Mischrassen sind viel widerstandsfähiger. Und schließlich frißt er ja ganz gut und ist auch sonst recht lebhaft, nicht wahr?«
»Ja. Nicht schlecht.«
»Dann machen wir weiter. Ich gebe ihm jetzt noch eine Spritze.«
Drei Tage später war der Junge wieder da, und ich sah ihm sofort an, daß er wichtige Neuigkeiten hatte.
»Es geht Duke viel besser – Augen und Nase sind trocken, und er frißt wie ‘n Pferd!« Wes war vor Aufregung ganz außer Atem.
Ich setzte den Hund auf den Tisch. Sein Zustand hatte sich ohne jeden Zweifel stark gebessert, und ich tat mein Bestes, um mich mit Wes zu freuen.
»Das ist ja wunderbar«, sagte ich, aber im Innern hörte ich eine Alarmglocke. Im allgemeinen treten die Nervensymptome immer gerade dann auf, wenn es dem Hund scheinbar besser geht.
Ich zwang mich, optimistisch zu sein. »Tja, dann brauchst du vorläufig nicht wiederzukommen. Paß gut auf ihn auf, und wenn du irgend etwas Ungewöhnliches bemerkst, bring ihn wieder her.«
Der zerlumpte kleine Kerl war vor Freude außer sich.
Das war am Freitagabend gewesen, und am Montag hatte ich bereits die ganze Angelegenheit als einen glücklich abgeschlossenen Fall abgetan. Aber da saßen Wes und Duke wieder im Wartezimmer.
Ich rief ihn herein und blickte kurz von meinem Schreibtisch auf. »Was gibt’s, Wes?«
»Er schlottert so.«
Ich hockte mich auf den Boden und sah mir das Tier aufmerksam an. Und da war es; das leichte, regelmäßige Zucken der Schläfenmuskeln, das ich befürchtet hatte.
»Wes, er hat leider Chorea«, sagte ich.
»Was ist das?«
»Ich habe es dir schon einmal erklärt. Man nennt es auch Veitstanz. Ich hatte gehofft, es würde nicht passieren.«
Plötzlich sah der Junge ganz klein und verloren aus. Er stand schweigend da und ließ die neue Leine durch seine Finger gleiten. Das Sprechen fiel ihm schwer.
»Wird er sterben?«
»Manche Hunde überleben es, Wes.« Ich sagte ihm nicht, daß ich es nur ein
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