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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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»Rose sieht heute wieder ganz gesund aus, nicht wahr?«
    Der Farmer nahm die Mütze ab und fuhr sich über die Brauen. »Tja, die Kuh ist wie neugeboren.«
    »Ich glaube nicht, daß sie weitere Behandlung braucht«, sagte ich. Ich zögerte. Ein kleiner Seitenhieb konnte vielleicht nicht schaden. »Jedenfalls war es gut, daß ich ihr gestern noch diesen Einlauf gemacht habe.«
    »Die Pumperei?« Mr. Bailes hob die Brauen. »Ach, damit hat das nichts zu tun.«
    »Was... was wollen Sie damit sagen? Habe ich sie etwa nicht geheilt?«
    »Nein, junger Mann. Nein. Jim Oakley hat sie geheilt.«
    »Jim... was...?«
    »Tja, Jim ist gestern abend vorbeigekommen. Das tut er öfter mal, und da hat er die Kuh gesehen und mir gleich gesagt, was ich tun muß. Ich sage Ihnen, sie war am Sterben – die Pumperei hat überhaupt nichts genützt. Da hat er mir gesagt, ich soll sie mal ordentlich über die Weide galoppieren lassen.«
    »Was?«
    »Tja, das hat er gesagt. Er hat schon manchmal Kühe in dem Zustand gesehen, und ein guter Galopp hat sie kuriert. Da haben wir Rose hier herausgebracht, und bei Gott, das hat’s geschafft.«
    »Und wer ist Jim Oakley?« fragte ich kühl.
    »Der Briefträger natürlich.«
    »Der Briefträger!«
    »Nun ja, aber vor Jahren hat er auch Vieh gehabt. Er versteht mit Tieren umzugehen, der Jim.«
    »Zweifellos, aber Mr. Bailes, ich kann Ihnen versichern...«
    Der Farmer hob die Hand. »Lassen Sie nur, junger Mann. Jim hat sie kuriert, und da gibt’s nichts zu rütteln. Sie hätten ihn sehen sollen, wie er Rose herumgejagt hat. Er ist so alt wie ich, aber Donnerwetter, der kann rennen. Rennt wie der Teufel, dieser Jim.« Er kicherte vergnügt.
    Das reichte mir. Während der Lobreden über Jim hatte ich zerstreut die Kuh am Schwanz gekrault und mir dabei die Hand schmutzig gemacht. Ich raffte den Rest meiner Würde zusammen und nickte Mr. Bailes zu.
    »Ich muß mich verabschieden. Kann ich mir die Hände waschen?«
    »Bitte«, erwiderte er. »Meine Frau gibt Ihnen heißes Wasser.«
    Auf dem Weg zum Haus grübelte ich über die grausame Ungerechtigkeit des Schicksals nach. Versonnen ging ich durch das Gatter und über die Straße. Bevor ich den Gang zwischen den Mauern betrat, schaute ich in den Garten. Er war leer. Ich trat in den Weg ein und fühlte mich immer elender. Es gab keinen Zweifel, ich stand diesen Leuten gegenüber als ein völliger Trottel da.
    Ich wollte gerade rechts einbiegen und auf die Küchentür zusteuern, als ich von links plötzlich das Rasseln einer Kette vernahm. Ein brüllendes Ungeheuer sprang auf mich, bellte mir ohrenbetäubend ins Gesicht und verschwand wieder.
    Dieses Mal glaubte ich, einem Herzschlag zu erliegen. In meiner jetzigen Verfassung war Shep entschieden zuviel für mich. Ich hatte ganz vergessen, daß Mrs. Bailes ihn manchmal in der Hundehütte an die Kette legte, um unwillkommene Besucher abzuschrecken, und als ich an die Wand gelehnt stand und das Herz mir in den Ohren pochte, sah ich die lange Kette auf dem Kopfsteinpflaster.
    Ich habe im allgemeinen nichts für Menschen übrig, die Tieren gegenüber die Beherrschung verlieren, aber dieses Mal gingen mir selbst die Nerven durch. Ich griff nach der Kette und zerrte wutentbrannt. Endlich konnte ich diesen Quälgeist von Hund einmal erwischen, und dieses Mal mußte ich ihn mir vornehmen. Ich zerrte und zerrte, eine Nase erschien, dann ein Kopf, und dann das ganze Tier. Er machte keine Miene, sich zu meiner Begrüßung zu erheben, aber ich zog ihn unbarmherzig über die Pflastersteine, bis er zu meinen Füßen lag.
    Außer mir vor Wut hockte ich mich hin, schwenkte die Faust unter seiner Nase und schrie ihn an. »Du Mistviech! Wenn du das noch einmal tust, schlage ich dir den Schädel ein! Hörst du? Ich schlage dir den Schädel ein, du verdammtes Mistviech!«
    Shep sah mich aus erschrockenen Augen an und wedelte entschuldigend mit dem Schwanz. Als ich weiter auf ihn einschrie, schien er mich geradezu anzugrinsen, rollte sich auf den Rücken und blieb so mit halbgeschlossenen Augen liegen.
    Jetzt wußte ich Bescheid. Er war zahm und gutmütig. Alle seine wilden Angriffe waren nur ein Spiel. Ich beruhigte mich, wollte ihm jedoch eine Lektion erteilen.
    »So, mein Freund«, flüsterte ich bedrohlich. »Denke an das, was ich dir gesagt habe!« Ich ließ die Kette los und rief ihm zu: »Zurück in die Hütte!«
    Shep schoß mit eingezogenem Schwanz in seinen Verschlag zurück, und ich ging ins Haus, um mir die Hände

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