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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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wie dieser Riesenhund, der in der friedlichen Landschaft wie aus dem Nichts auftauchte.
    Ich zitterte noch, als ich die Scheune erreichte, und ich brachte kaum ein Wort hervor, als Mr. Bailes mit mir über die Straße zurück zu seinem Hof ging.
    Meine Patientin hätte nicht schlimmer dran sein können. Sie war vom Fleisch gefallen, und sie starrte teilnahmslos aus eingesunkenen Augen die Wand an. Das ominöse Knurren war noch stärker geworden.
    »Es muß ein Draht sein«, stammelte ich. »Lassen Sie sie einen Augenblick los, bitte.«
    Mr. Bailes löste die Kette, und Rose ging den Stallgang entlang. Schließlich drehte sie sich um und trabte fast in ihren Stand zurück, wobei sie mühelos über die Mistrinne sprang. Meine Bibel war damals Doktor Udalls Tierärztliches Handbuch, und der große Mann schrieb darin, eine Kuh, die sich frei bewegen könne, habe aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Fremdkörper im Leibe. Ich kniff ihr in die Seite, und sie reagierte nicht... es mußte etwas anderes sein.
    »Die schlimmste Verstopfung, die ich seit langem gesehen hab«, sagte Mr. Bailes. »Heute früh hab ich ihr noch eine gute Portion von sehr starkem Zeugs gegeben, aber es hat nichts genützt.«
    Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn. »Wie war das eben, Mr. Bailes?« Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn der Kunde seine eigene Medizin anzuwenden beginnt.
    Der Farmer langte auf den Fenstersims und zeigte mir eine Flasche. »Doktor Hornibrooks Magenelixier. Ein bewährtes Heilmittel für alle Viehkrankheiten.« Der Doktor im Zylinder und Frack lächelte mich vertrauensvoll vom Etikett an, als ich den Korken entfernte und an der Flasche roch. Ich blinzelte und taumelte mit tränenden Augen zurück. Es roch wie reines Ammoniak, aber ich war nicht in der Lage, mich überheblich aufzuführen.
    »Dieses verdammte Stöhnen –« Der Farmer zuckte die Schultern. »Was soll das nur bedeuten?«
    Es hatte keinen Sinn, ihm zu erklären, daß es wie eine Bauchfellentzündung klang, denn ich wußte ja nicht, was dahintersteckte.
    So beschloß ich einen letzten Versuch mit einem Einlauf. Das war immer noch die stärkste Waffe in meiner Rüstkammer, aber dieses Mal fügte ich der Mixtur noch zwei Pfund schwarze Melasse hinzu. Damals hatte fast jeder Farmer ein Faß davon in seinem Kuhstall, und ich brauchte nur in die Ecke zu gehen, um mich zu bedienen.
    Noch heute trauere ich oft den Melassefässern nach, denn dieser schwarze Sirup war eine gute Medizin für das Vieh; dieses Mal allerdings hatte ich keine großen Hoffnungen. Mein Instinkt sagte mir, daß bei diesem Tier etwas von Grund auf nicht stimmte.
    Erst am nächsten Nachmittag fuhr ich wieder nach Highburn. Ich ließ den Wagen auf der Straße und wollte mich gerade auf den Weg zwischen den Mauern begeben, als ich verdutzt stehenblieb und auf eine Kuh starrte, die friedlich auf der Weide graste. Die Weide lag neben der großen Wiese, durch die ich gestern gekommen war, und die Kuh war Rose. Es gab keinen Zweifel – sie hatte ein schönes rotbraunes Fell mit einem weißen, fußballgroßen Fleck auf der linken Flanke.
    Ich öffnete das Gatter, und im Nu war meine Sorge verflogen. Sie hatte sich wie durch ein Wunder erholt und sah wieder ganz normal aus. Ich ging auf sie zu und kratzte sie an der Schwanzwurzel. Sie war ein sanftes Tier, schaute mich nur kurz an, während sie weitergraste, und ihre Augen waren nicht mehr eingesunken, sondern voll und glänzend.
    Sie schien besonderes Gefallen an einem grünen Kraut zu finden, daß sie weiter hinten auf der Weide entdeckte, und sie trottete langsam darauf zu. Ich war ganz hingerissen und folgte ihr. Sie schüttelte ungeduldig Kopf und Ohren gegen die Fliegen, das Knurren war verschwunden, und ihr Euter hing schwer und füllig zwischen den Beinen. Es war unglaublich, wie sie sich seit gestern verändert hatte.
    Ein Gefühl der Erleichterung überflutete mich, als ich Mr. Bailes über die Mauer zur Wiese klettern sah. Wahrscheinlich reparierte er immer noch die Scheunentür.
    Der gute Mann tat mir jetzt leid, und ich nahm mir vor, ihn meinen Triumph nicht spüren zu lassen. Denn es mußte ihm doch peinlich sein, mich hier zu sehen, nachdem er mir gestern mit seinen Reden von Hausmitteln seinen Unglauben in meine Kunst bewiesen hatte. Nun ja, schließlich war er um seine Kuh besorgt gewesen, und ich konnte es ihm nicht verübeln. Wozu sollte ich mich da ihm gegenüber brüsten?
    »Guten Morgen, Mr. Bailes«, sagte ich jovial.

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