Der Tierarzt kommt
bellte er leise.
Ted Dobson stieß mich an und lachte. »Der alte Mick hütet immer noch seine Schafe.«
Ich nickte. Zweifellos träumte der Hund von seiner großen Zeit, als er auf einen Pfiff seines Herrn im weiten Bogen um die Herde rannte und die Schafe zusammentrieb. Und Albert? Was mochte hinter jenem starren und leeren Blick liegen? Ich konnte ihn mir als jungen Mann vorstellen, wie er im windigen Hochland herumwanderte, Meile für Meile über Moor, Felsen und Bäche, und mit dem Stock in das Torf stieß. Es gibt keine besseren Schafhirten als die in den Dales, die bei jeder Witterung im Freien leben und sich bei Schnee und Regen höchstens einen Sack über die Schulter binden.
Und jetzt war Albert ein gebrochener alter Mann, den die Arthritis plagte, und der apathisch unter dem ramponierten Schirm seiner alten Tweedmütze hervorlugte. Ich sah, daß er gerade ausgetrunken hatte und ging zu ihm hin.
»Guten Abend, Mr. Close«, sagte ich.
Er hielt sich die Hand an das Ohr und blinzelte mich an. »Was?«
Ich erhob die Stimme und rief: »Wie geht’s, Mr. Close?«
»Kann nicht klagen, junger Mann«, murmelte er. »Kann nicht klagen.«
»Möchten Sie noch ein Glas?«
»Vielen Dank.« Er wies mit einem zittrigen Finger auf sein Glas. »Hier können Sie noch ‘nen Tropfen reintun, junger Mann.«
Ich wußte, daß er mit einem Tropfen einen halben Liter meinte, und ich gab dem Wirt ein Zeichen, der kunstgerecht einschenkte. Der alte Schafhirt hob das Glas und blickte mich an.
»Zum Wohl«, grunzte er.
»Wohl bekomm’s«, sagte ich und wollte zu meinem Platz zurückgehen, als der alte Hund sich aufsetzte. Mein lautes Gespräch mit seinem Herrn mußte ihn geweckt haben, denn er streckte sich schläfrig, schüttelte den Kopf einige Male und blickte sich um. Als er mich ansah, bekam ich einen Schreck.
Seine Augen waren entsetzlich. Man konnte sie überhaupt kaum sehen, denn sie blinzelten durch eine Eiterschicht, die bis über die Wimpern lag, und an beiden Seiten der Schnauze ergoß sich ein scheußlicher schwarzer Ausfluß über das weiße Fell.
Ich streckte die Hand nach ihm aus, er wedelte kurz mit dem Schwanz und schloß die Augen. So schien er sich wohler zu fühlen.
Ich legte die Hand auf Alberts Schultern. »Mr. Close, seit wann ist er in diesem Zustand?«
»Was?«
Ich sprach lauter. »Micks Augen. Sie sind in einem sehr schlechten Zustand.«
»Ach so.« Der alte Mann nickte verstehend. »Ist wohl ein bißchen erkältet. Hat er schon immer gehabt, seit er klein war.«
»Nein, es ist schlimmer als eine Erkältung. Es sind die Augenlider.«
»Was?«
Ich nahm einen tiefen Atemzug und brüllte mit voller Stimmkraft: »Er hat nach innen wachsende Augenlider. Das ist eine ernste Sache.«
Der Alte nickte wieder. »Tja. Er liegt ja oft mit dem Kopf an der Türspalte. Da hat er wohl Zug gekriegt.«
»Nein, Mr. Close!« schrie ich. »Es hat nichts damit zu tun. Was er hat, heißt Entropium, daß muß operiert werden.«
»Ganz recht, junger Mann.« Er nahm einen Schluck Bier. »Nur ‘ne kleine Erkältung. Schon als er klein war...«
Ich kehrte betrübt an meinen Platz zurück. Ted Dobson sah mich fragend an.
»Was war denn los?«
»Ach, eine häßliche Geschichte, Ted. Entropium ist die Einwärtsdrehung des Augenlidrandes, und dann reiben die Wimpern an der Hornhaut. Das verursacht starke Schmerzen, Sehschaden und manchmal auch Erblindung. Auch im mildesten Falle ist es für einen Hund verdammt unangenehm.«
»Ich verstehe«, sagte Ted nachdenklich. »Daß der alte Mick Triefaugen hat, hab ich schon lange bemerkt, aber es ist schlimmer geworden.«
»Ja, manchmal kommt es plötzlich, aber oft war schon eine Veranlagung vorhanden. Mick hat wahrscheinlich schon sein ganzes Leben darunter gelitten, aber jetzt hat es sich entsetzlich verschlimmert.« Ich blickte wieder zu dem alten Hund hinüber, der geduldig und mit geschlossenen Augen unter dem Tisch saß.
»Er hat also Schmerzen?«
Ich zuckte die Schultern. »Sie wissen ja, wie es ist, wenn man ein Staubkörnchen im Auge hat, oder ein einziges Wimpernhaar. Ich glaube, es ist sehr schmerzhaft.«
»Der arme alte Kerl. Hätte nie gedacht, daß es so arg ist.« Er zog an seiner Zigarette. »Und eine Operation könnte es heilen?«
»Ja, Ted. Und es ist eine sehr befriedigende Arbeit für einen Tierarzt. Da hat man wirklich den Eindruck, dem Hund einen Gefallen zu tun.«
»Tja, das glaub ich schon. Muß ein schönes Gefühl sein. Aber so ‘ne
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