Der Tierarzt kommt
Seite, und ich konnte ihn richtig untersuchen. Ich öffnete die Lider und sah die scheußlich verfilzten Wimpern voller Eiter und Tränen. Akute und verschleppte Hornhaut- und Bindehautentzündung, aber zu meiner großen Erleichterung stelle ich fest, daß die Hornhaut nicht vereitert war.
»Gott sei Dank«, sagte ich. »Es sieht zwar sehr böse aus, aber ich glaube, daß wenigstens kein Dauerschaden eingetreten ist.«
Die Landarbeiter brachen zwar nicht in Jubelgeschrei aus, aber sie waren sichtlich sehr zufrieden. Und die Faschingsstimmung stieg noch, als sie plauderten und lachten, und ich glaube kaum, daß ich je eine Operation bei einem solchen Lärm durchgeführt habe.
Ich empfand ein wahres Hochgefühl, als ich den ersten Einschnitt machte; ich hatte so lange auf diesen Augenblick gewartet. Ich begann mit dem linken Auge, schnitt in der vollen Länge parallel zum Lidrand und dann im Halbkreis, so daß ich noch etwa einen Zentimeter von dem Gewebe mitbekam. Dann griff ich die Haut mit der Zange und entfernte sie, und als ich die Wundränder wieder zunähte, bemerkte ich mit großer Genugtuung, daß die Wimpern jetzt die Hornhaut nicht mehr berühren konnten.
Vom unteren Lid schnitt ich weniger fort, und dann machte ich mich an das rechte Auge. Plötzlich fiel mir auf, daß das laute Reden und Lachen erstorben war. Ich blickte auf und sah den großen Ken Appleton, den Stallburschen von Laurel Grove, und es war auch nicht erstaunlich, daß ich ihn zuerst sah, denn er war ein Meter neunzig groß und so kräftig wie die Zugpferde, um die er sich kümmerte.
»Gott, ist das eine Hitze hier«, flüsterte er. Der Schweiß lief ihm vom Gesicht, und er war leichenblaß. Ich war gerade dabei, die Haut vom Augenlid zu entfernen, als ich Tristans Schrei hörte.
»Haltet ihn!«
Die Freunde des großen Mannes standen ihm bei, als er sanft zu Boden sank und dort in eine friedliche Ohnmacht fiel. Er wachte erst wieder auf, als ich den letzten Stich getan hatte. Seine Gefährten halfen ihm wieder auf die Beine, während Tristan und ich saubermachten und die Instrumente in den Schrank zurücklegten. Und jetzt kam auch wieder Leben in die Party, und Ken mußte etlichen Spott über sich ergehen lassen, aber er war nicht der einzige, der bleich geworden war.
»Ein Tropfen Whisky würde Ihnen guttun, Ken«, sagte Tristan. Er holte eine Flasche, deren Inhalt er in seiner gastfreundlichen Art an alle verteilte. Meßgläser, Reagenzgläser und alle möglichen anderen Gefäße wurden herumgereicht, und bald gab es ein fröhliches Gedränge um den schlafenden Hund. Als der Lieferwagen endlich wieder in die Nacht hinausfuhr, hörte ich noch lange das grölende Singen seiner Insassen.
Zehn Tage später brachten sie Mick zurück, damit ich die Fäden zog. Die Schnitte waren gut verheilt, aber die Hornhautentzündung war noch nicht vorüber, und der alte Hund blinzelte immer noch. Erst einen Monat später sah ich das Endresultat meiner Arbeit.
Ich kam auf dem Heimweg wieder einmal durch Copton, und aus dem abendlichen Dunkel leuchtete mir die Tür des Fox and Hounds entgegen, und da fiel mir wieder die kleine Operation ein, die ich bei all der neuen Arbeit schon fast vergessen hatte. Ich trat ein und setzte mich zu meinen alten Bekannten.
Alles war wie immer. Albert Close saß an seinem Stammplatz. Mick lag unter dem Tisch und war wieder in einen lebhaften Traum vertieft, denn seine Pfoten zuckten. Ich ging durch die Stube und hockte mich vor ihn hin.
»Mick!« sagte ich. »He, wach auf, Mick!«
In atemloser Spannung beobachtete ich, wie sich der zottige Kopf langsam nach mir umdrehte. Und da blickte ich beglückt und erstaunt in die großen, klaren und glänzenden Augen eines jungen Hundes. Ein beseligendes Wonnegefühl durchflutete mich, als er mich mit offener Schnauze ansah und mit dem wedelnden Schwanz auf die Fliesen schlug. Keine Entzündung, kein Ausfluß, und die Wimpern waren sauber und trocken und kratzten ihn nicht mehr. Ich streichelte ihm den Kopf und war gerührt darüber, wie eifrig er sich umblickte, denn diesem alten Hund hatte sich plötzlich eine ganz neue Freiheit, eine Welt ohne Schmerzen aufgetan. Ted Dobson und die anderen lächelten mir verschwörerisch zu, als ich mich wieder erhob.
»Mr. Close«, brüllte ich. »Noch ein Glas gefällig?«
»Ja, Sie können mir noch ‘nen Tropfen eingießen, junger Mann.«
»Micks Augen geht es viel besser.«
Der alte Mann erhob sein Glas. »Zum Wohl. Es war ja auch
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