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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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nur ‘ne kleine Erkältung.«
    »Aber Mr. Close...!«
    »So ‘ne Erkältung ist schlecht für die Augen. Der alte Hund liegt immer an der offenen Tür, und er wird sich wohl bald wieder erkälten. Schon als er klein war, hat er das immer gehabt...«

13
     
    Mrs. Beck stand am Praxisfenster.
    »Ach, Mr. Herriot, ich hätte nie gedacht, daß Sie so ein herzloser Mensch sind.« Ihr Kinn zitterte, und sie sah mich vorwurfsvoll an.
    »Aber Mrs. Beck«, sagte ich. »Ich kann Ihnen versichern, daß ich durchaus nicht herzlos bin. Aber ich kann nun einmal Ihre Katze nicht für zehn Shilling operieren. Es ist nämlich keine Kleinigkeit.«
    »Nicht mal für eine arme Witwe wie mich?«
    Ich sah sie nachdenklich an. Sie war klein und drall, hatte gesunde rote Backen, und ihr gepflegtes graues Haar war zu einem Knoten geflochten. War sie wirklich eine arme Witwe? Viele bezweifelten es, und ihr unmittelbarer Nachbar aus Rayton war in dieser Hinsicht besonders skeptisch.
    »Glauben Sie das bloß nicht, Mr. Herriot«, hatte er gesagt. »Sie versucht es mit jedem, aber ich kann Ihnen nur sagen – die hat einen dicken Sparstrumpf.«
    Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Mittellosen Kunden räumen wir oft Sonderbedingungen ein, Mrs. Beck, aber was Sie wünschen, ist eine Luxusoperation.«
    »Luxus!« Mrs. Beck war entsetzt. »Ich hab Ihnen doch gesagt, daß Georgina ständig Junge kriegt. Sie tut es immer wieder, und es macht mich ganz krank. Ich kann schon gar nicht mehr schlafen, weil ich mir immerzu Sorgen mache.« Sie betupfte sich die Augen.
    »Ich verstehe das ja, und es tut mir leid. Ich kann nur wiederholen, daß Sie das am besten verhindern, wenn Sie Ihre Katze sterilisieren lassen, und das kostet genau ein Pfund.«
    »Nein, das kann ich mir nicht leisten!«
    Ich hob die Hände. »Aber Sie möchten es zum halben Preis haben. Das ist doch lächerlich. Diese Operation erfordert eine Vollnarkose und das Entfernen der Gebärmutter und der Eierstöcke. Das läßt sich doch nicht für zehn Shilling machen.«
    »Ach, Sie sind grausam!« Sie wendete sich ab und blickte aus dem Fenster, und ihre Schultern zitterten. »Haben Sie denn kein Mitleid für eine arme Witwe?«
    Das dauerte nun schon zehn Minuten, und ich gewann das Gefühl, daß ich es mit einer Person zu tun hatte, die mir an Hartnäckigkeit überlegen war. Ich schaute auf die Uhr. Ich hätte schon längst auf meiner Runde sein sollen, und ich hatte offensichtlich keine Chance, mich dieser Frau gegenüber durchzusetzen.
    Vielleicht war sie wirklich eine arme Witwe. Ich seufzte. »Na schön, Mrs. Beck, ich werde es ausnahmsweise für zehn Shilling tun. Paßt es Ihnen Dienstag nachmittag?«
    Sie drehte sich vom Fenster weg, und ihr Gesicht verzog sich wie durch ein Wunder zu einem Lächeln. »Das paßt mir ausgezeichnet! Sie sind wirklich sehr liebenswürdig.«
    »Noch eins«, sagte ich, als ich ihr die Tür öffnete. »Geben Sie Georgina von Montag mittag an nichts zu fressen. Sie muß einen leeren Magen haben, wenn Sie sie herbringen.«
    »Sie herbringen?« Sie sah mich entsetzt an. »Aber ich habe doch keinen Wagen. Ich hatte gedacht, Sie würden sie abholen.«
    »Sie abholen? Aber bis nach Rayton sind es acht Kilometer!«
    »Ja. Und Sie müssen sie auch wieder zurückbringen. Ich habe kein Transportmittel.«
    »Sie abholen... sie operieren... und sie wieder zurückbringen! Und all das für zehn Shilling?«
    Sie lächelte immer noch, aber ein stahlharter Glanz schlich sich in ihre Augen. »So war es doch ausgemacht – zehn Shilling.«
    »Aber... aber...«
    »Ach, jetzt fangen Sie schon wieder an.« Das Lächeln erstarb, und sie neigte den Kopf zur Seite. »Ich bin doch nur eine arme...«
    »Schon gut«, sagte ich rasch. »Ich komme am Dienstag.«
    Und als der Dienstagnachmittag kam, verfluchte ich meine Nachgiebigkeit. Hätte sie mir die Katze gebracht, so hätte ich sie um zwei Uhr operieren und um halb drei wieder unterwegs sein können. Der Verlust einer halben Stunde hätte mir nichts ausgemacht, aber jetzt mußte ich Gott weiß wieviel Zeit verschwenden.
    Beim Hinausgehen schaute ich durch die offene Tür ins Wohnzimmer. Tristan, der eigentlich über seinen Büchern sitzen sollte, schlief behaglich in seinem Lieblingssessel. Ich trat ein und betrachtete versonnen sein sorgloses und entspanntes Gesicht. Er schlief wie ein Baby, der auf der Comic-Strip-Seite aufgeschlagene Daily Mirror war ihm auf die Brust gefallen, und eine Zigarette hing ausgebrannt in seinen

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