Der Tierarzt kommt
Operation ist doch wohl teuer, was?«
Ich lächelte schief. »Kommt ganz drauf an, wie man’s betrachtet. Es ist eine mühsame Arbeit, und sie nimmt Zeit in Anspruch. Gewöhnlich nehmen wir ein Pfund dafür. Ein Menschenchirurg würde über einen solchen Betrag nur lachen, aber für den alten Albert ist es trotzdem zuviel.«
Wir blickten schweigend durch den Raum auf den alten Mann in seiner fadenscheinigen Jacke und den abgerissenen Hosenrändern, die über seine löchrigen Stiefel fielen. Ein Pfund – das waren zwei Wochen Rente. Ein Vermögen.
Ted erhob sich plötzlich. »Jedenfalls muß es ihm jemand sagen. Ich versuch’s mal.«
Er ging hinüber. »Na, Albert, noch eins gefällig?«
Der alte Schafhirt sah ihn geistesabwesend an und zeigte auf sein wieder leeres Glas. »Tja, kannst hier noch ‘nen Tropfen reingießen, Ted.«
Ted winkte Mr. Waters herbei. »Hast du verstanden, was Mr. Herriot dir gesagt hat, Albert?« brüllte er.
»Ja... ja... Mick ist ein bißchen erkältet in den Augen.«
»Nein, das ist es nicht! Ist was ganz anderes! Ein En... ein En... eine andere Sache.«
»Ist ständig erkältet«, murmelte Albert in sein Bier.
Ted brüllte außer sich: »Du alter Blödkopf! Hör mir doch endlich mal zu – du muß dich um deinen Hund kümmern und...«
Aber der alte Mann war bereits weit weg. »War schon immer erkältet... schon als er klein war...«
Ich mußte noch tagelang danach an diese Augen denken. Wenn ich mir Mick nur einmal vornehmen könnte. In einer Stunde würde ich den alten Hund in eine Welt versetzen, wie er sie wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr gekannt hatte. Ich wünschte mir, ich könnte ihn in den Wagen packen und in der Praxis operieren. Aber ich konnte nicht damit anfangen, umsonst zu operieren. Ich sah ständig lahme Hunde auf den Bauernhöfen und verwahrloste und halbverhungerte Katzen auf den Straßen, und es wäre herrlich gewesen, sie alle gratis zu behandeln. Ich wäre nur dabei pleite gegangen.
Ted Dobson erlöste mich schließlich aus meinem Dilemma. Er war in die Stadt gekommen, um seine Schwester zu besuchen, und nun stand er, an sein Fahrrad gelehnt, bei uns vor der Tür. Sein freundliches Gesicht strahlte, als wolle es die Straße erleuchten.
Er kam direkt zur Sache. »Mr. Herriot, würden Sie Mick operieren?«
»Ja, natürlich, aber... wie steht es mit...?«
»Ach, kein Problem. Die Kunden vom Fox and Hounds übernehmen das. Wir bezahlen das mit dem Clubgeld.«
»Clubgeld?«
»Ja, jede Woche legen wir was auf die Seite für einen Sommerausflug. Ans Meer oder so.«
»Das ist ja sehr lieb von Ihnen, Ted, aber sind auch alle damit einverstanden?«
Ted lachte. »Keinem wird der Ausflug fehlen. Meist war das ja auch sowieso nur ‘ne große Sauferei.« Er hielt inne. »All die Kumpel wollen, daß es gemacht wird – es geht uns allen verdammt an die Nieren, wenn wir den alten Hund sehen, jetzt, wo wir wissen, was es ist.«
»Na, das ist ja großartig«, sagte ich. »Und wie bringen Sie ihn hierher?«
»Mein Chef leiht mir den Lieferwagen. Wäre Mittwoch abend recht?«
»Paßt ausgezeichnet.« Ich sah ihn wegradeln und ging in die Praxis zurück. Heutzutage mag es komisch klingen, daß man soviel von einem Pfund hermacht, aber damals war es noch eine beträchtliche Summe, und vielleicht macht man sich einen Begriff davon, wenn man weiß, daß mein erstes Gehalt als Tierarztassistent vier Pfund die Woche betrug.
Am Mittwoch gab es keinen Zweifel mehr, daß Micks Operation zu einer Art Festakt werden sollte. Der kleine Lieferwagen war vollgepackt mit Stammgästen aus dem Fox and Hounds, und andere kamen mit dem Fahrrad an.
Der alte Hund ging widerstrebend durch den Hausflur zum Operationszimmer, und seine Nüstern zuckten, als er die unbekannten Gerüche von Äther und Desinfektionsmitteln wahrnahm. Hinter ihm marschierten die Landarbeiter, und ihre schweren Stiefel hallten auf den Fliesen wider.
Tristan, der die Narkose machte, hob den Hund auf den Tisch, und als ich mich umblickte, sah ich lauter erwartungsvolle Gesichter. Normalerweise mag ich es nicht, wenn Laien mir bei einer Operation zuschauen, aber ich konnte es diesen Männern nicht antun, sie hinauszuschicken.
Unter der Lampe konnte ich mir Mick zum erstenmal genauer anschauen. Er war ein schöner Hund – bis auf die entsetzlichen Augen. Als er da saß, öffnete er sie kurz und schloß sie unter dem hellen Lampenlicht gleich wieder.
Die Spritze wirkte, er lag bewußtlos auf der
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