Der Tierarzt kommt
kennenzulernen.«
Der Mittwoch war einer jener frostigen Spätherbsttage, an denen am Nachmittag ein leichter Nebel aufsteigt, der sich gegen sechs Uhr so verdichtet, daß man kaum noch seine eigene Nase sieht.
Wir krochen im Schneckentempo in unserem kleinen Wagen die Straße entlang, und ich preßte die Nase an die Windschutzscheibe.
»Bei Gott, Helen«, sagte ich. »Wir werden es nie im Leben heute abend bis nach Newcastle schaffen. Granville ist zwar ein guter Fahrer, aber bei diesem Nebel ist es wirklich unmöglich.«
Endlich hatten wir die zwanzig Meilen bis zu Bennetts Haus hinter uns, und ich atmete erleichtert auf, als ich die hell erleuchtete Eingangstür aus den Nebelschwaden auftauchen sah.
Granville stand groß und eindrucksvoll wie eh und je mit ausgestreckten Armen in der Eingangshalle. Zurückhaltung war nie seine Schwäche gewesen, und er schloß meine Frau mit einem wahren Bärengriff in die Arme.
»Helen, mein Schatz«, sagte er und küßte sie lang und genießerisch. Dann trat er zurück, schöpfte Atem, blickte sie liebevoll an und küßte sie noch einmal.
Ich reichte Zoe höflich die Hand, und dann wurden die beiden Damen einander vorgestellt. Wie hübsch waren sie anzusehen. Eine attraktive Frau ist ein Geschenk des Himmels, und es ist ein seltener Segen, gleich zwei davon in unmittelbarer Nähe zu haben. Helen mit ihrem dunklen Haar und den blauen Augen, Zoe mit ihrem braunen Haar und graugrünen Augen, und beide lächelten und strahlten Wärme aus.
Zoe übte die alte Anziehungskraft auf mich aus. In ihrer Gegenwart bemühte ich mich, mich von meiner besten Seite zu zeigen, womöglich noch besser. Ich warf einen verstohlenen Blick auf den Spiegel. Ein gutsitzender Anzug, sauberes Hemd, frisch rasiert, kurz, ich war sicher, dem Bild des gepflegten jungen Tierarztes und des jungverheirateten Mannes mit edlen Grundsätzen und makellosem Betragen zu entsprechen.
Ich stieß im stillen ein Dankgebet aus, daß sie mich wenigstens dieses Mal völlig nüchtern und normal sah. Heute hatte ich endlich Gelegenheit, den beschämenden Eindruck von früher wiedergutzumachen.
»Zoe, Liebste«, flüsterte Granville. »Führe Helen in den Garten, während ich mir Jims Hund anschaue.«
Ich blinzelte. In diesem Nebel in den Garten? Es war mir unverständlich, aber ich war zu sehr um Sam besorgt und machte mir weiter keine Gedanken. Ich öffnete die Wagentür, und mein Beagle trottete in das Haus.
Granville begrüßte ihn aufs herzlichste. »Immer hereinspaziert.« Dann rief er mit lauter Stimme: »Phoebe! Victoria! Juhu! Kommt, sagt eurem Vetter Sam guten Tag, meine Herzblätter!«
Der dicke Bullterrier watschelte herein, gefolgt von der kleinen Yorkshire-Hündin, die uns zur Begrüßung die Zähne zeigte.
Nachdem die Hunde miteinander Bekanntschaft gemacht hatten, nahm Granville Sam auf den Arm.
»Und wegen dieser kleinen Warze machst du dir Sorgen, Jim?«
Ich nickte verlegen.
»Ach, du lieber Gott. Das Ding könnte ich ja wegpusten!«
Er sah mich forschend an, und dann lächelte er. »Jim, alter Junge, warum stellst du dich mit deinem Hund nur so an?«
»Und warum nennst du deine Herzblätter?« entgegnete ich rasch.
»Nun ja...« er räusperte sich. »Warte einen Augenblick. Ich hole die Instrumente.«
Er kam mit einer Spritze und einer Schere zurück. Ein halber cm 3 genügte, um die Stelle zu betäuben; dann schnitt er die Warze ab, betupfte die Wunde mit Alaunstift und stelle den Hund auf den Boden. Die Operation hatte zwei Minuten gedauert, und sie bewies einmal mehr seine einzigartige Geschicklichkeit.
»So, das macht zehn Pfund, Mr. Herriot«, sagte er, und dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Jetzt gehen wir in den Garten. Sam wird sich gut mit meinen Hunden vorstehen.«
Er führte mich durch die Hintertür hinaus, und wir stolperten durch den Nebel an den Rosenbüschen vorbei. Ich fragte mich, wie er mir hier bei diesem Wetter überhaupt etwas zeigen könne, als ich ein kleines Gartenhaus sah. Er stieß die Tür auf, und ich trat in eine hell erleuchtete Schatzkammer.
Es war eine voll eingerichtete Bar. Eine blankpolierte Theke mit Bierhähnen und dahinter eine lange Reihe von allen nur erdenklichen Getränken. Ein Feuer prasselte im Kamin, und Stiche von Jagdszenen, Karikaturen und bunte Plakate schmückten die Wände. Es war urgemütlich.
Granville sah mein verdutztes Gesicht und lachte. »Was sagst du dazu, Jim? Ich habe mir einen eigenen Pub eingerichtet.
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