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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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kommen. Worum geht es eigentlich, Goldberg?«
    Goldberg nippte am Whisky und verzog das Gesicht. »Mädchenhandel, Betrug, Kindesentführung … Die Geschichte ist zu kompliziert, um sie jetzt zu erzählen. Ich hole das nach, wenn alles vorbei ist. Nun zu euch, Jungs. Wo könnten Liam, Bill, Bridie und die anderen sein?«
    »Schwer zu sagen, Mister«, sagte Con. »Es gibt mindestens ein halbes Dutzend Verstecke, wo sie sein könnten.«
    »Ist der in Ordnung?«, fragte Tony argwöhnisch und zeigte mit dem Daumen in Richtung des Arztes.
    »Ist der konspirative Chirurg in Ordnung?«, fragte Goldberg den Arzt augenzwinkernd.
    »Ich bin noch nicht einmal anwesend«, sagte der Arzt und warf seine Instrumente in eine Wanne mit Desinfektionsmittel. »Ich bin nur eine Halluzination und gehe jetzt wieder zu Bett. Der Arm darf noch nicht belastet werden. Geht allein hinaus und werft den Schlüssel durch das zerbrochene Oberlicht wieder herein.«
    Con und Tony waren bestürzt.
    »Aber Mister«, sagte Tony, »äh, Doktor, meine ich. So was sollten Sie mit Ihrem Schlüssel nicht machen. Da können Sie die Tür gleich offen lassen. Ich und Con kommen morgen wieder und zeigen Ihnen mal, wie man hier alles einbruchsicher macht. Es treiben sich nämlich ’ne Menge Ganoven in der Gegend rum.«
    »Das ist ein faires Angebot«, sagte der Arzt. »Und falls du dir, junger Mann, selbst mal eine Kugel einfangen solltest, weißt du ja jetzt, wohin du gehen kannst, um sie wieder loszuwerden. Und nun raus mit euch, es ist drei Uhr nachts.«
    Wieder auf der Straße, sagte Goldberg: »Das Versteck. Ihr wolltet mir sagen, wo sich die anderen aufhalten könnten.«
    »Tja«, sagte Con. »Da stehen mehrere Plätze zur Verfügung, die sie vermutlich ständig wechseln. Wollen Sie mitkommen und sie sich anschauen?«
    »Ich muss dringend noch etwas erledigen. Geht ihr nach Lambeth zurück. Wenn ihr die anderen gefunden habt, schickt eine Nachricht in die Dean Street 27 in Soho.«
    »Dean Street 27. Sagen Sie mal, Mister, worum geht es bei diesem ganzen Zirkus eigentlich?«
    »Es geht um die Juden im East End.«
    »Wird’s da Keile geben?«
    »Wahrscheinlich schon. Aber – «
    Con klopfte sich auf die Schenkel und jauchzte.
    »Ja, die Juden werden wir vermöbeln«, verkündete er in heller Freude. »Das wird ein Spaß …«
    Schlagartig verstummte er. Goldberg blickte ihn fassungslos an und Tony war peinlichst berührt.
    »Du Blödmann«, fuhr er ihn an, »siehst du denn nicht, dass dieser Mann Jude ist?«
    Con starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Und dann stieg ihm die Schamesröte ins Gesicht. Das war eine ganz neue Empfindung für ihn, deren Ausdruck die anderen wegen des Regens und im schwachen Schein der Straßenlaterne nicht sehen konnten. Aber er fühlte es bis ins Mark.
    »Auweia«, stöhnte er, »’tschuldigung, ’tschuldigung. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie Jude sind, dann … dann hätte ich natürlich für sie gekämpft.«
    »Er hätte Sie so oder so befreit«, sagte Tony zu Goldberg. »Das garantiere ich Ihnen.«
    Con streckte ihm seine rechte Hand entgegen und Goldberg schlug ein.
    »Ich glaube dir«, sagte er. »Aber solche Sprüche will ich nicht mehr hören, sonst sorge ich dafür, dass du es bereust. Hier …« Er holte drei Zigarren aus seiner Rocktasche. »Drei sind mir geblieben. Eine für jeden. Und denkt daran – gebt mir Nachricht, sobald ihr sie gefunden habt. Wenn ich nicht da sein sollte, holt jemanden, der telefonisch eine Nachricht an – «
    »Ich kann telefonieren«, sagte Tony. »Wie ist die Nummer?«
    »4214. Habt ihr schon von Kid Mendel gehört?«
    Sie nickten und machten große Augen.
    »Das ist seine Nummer. Er hat eigens einen Mann dafür abgestellt, Nachrichten entgegenzunehmen.«
    »Wohin gehen Sie eigentlich, Mister?«, erkundigte sich Con. »Gibt’s vielleicht wieder Keile?«
    Goldberg schaute auf den triefnassen kleinen Teufel hinab und schüttelte den Kopf.
    »Ein andermal. So, und nun sucht das Kind.«
    Die Jungen zündeten sich ihre Zigarren an und schlenderten gelassen von dannen. Goldberg ging Richtung Osten durch die engen Straßen um den Covent Garden, wo bereits Karren und Wagen mit Obst und Gemüse für den Markt bereitstanden. Träger schleppten Kisten mit Apfelsinen, Säcke mit Nüssen und Körbe mit Kohl und anderem Gemüse. Die Luft war erfüllt von den Rufen der Arbeiter und dem Knirschen schwerer Wagenräder, aus den Gasthäusern wehte eine anheimelnde Wärme. In den frühen

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