Der Tiger im Brunnen
die triefnassen Polizisten, von ihrem Sturz arg mitgenommen, etwas dagegen unternehmen konnten.
Sogar der Mann auf dem Kutschbock war hilflos. Beim Sprung nach unten hatte sich sein langer Regenmantel in der Deichselstange verfangen, und nun hing er fest und versuchte vergeblich sich zu befreien.
Der diensthabende Sergeant hatte den Tumult gehört und stand nun, die Kakaotasse in der einen, das Butterbrot in der anderen Hand, vor dem Portal. Beim Anblick der drei Männer, die hilflos im strömenden Regen standen, konnte er sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
»Na, immerhin habt ihr eure Schlagstöcke gezogen«, rief er hinaus in den Regen. »Warum geht ihr nicht aufeinander los und gebt euch den Rest?«
Darauf sagten sie ihm, was sie am liebsten mit seinem Kakao täten …
Zwei Straßen weiter eilte Goldberg, vor Schmerzen aschfahl im Gesicht, durch die Dunkelheit, eskortiert von seinen beiden jauchzenden Befreiern, die wie Kobolde neben ihm herhüpften.
Die Wasser des Blackbourne
Arthur Parrish hatte die bohrenden Fragen des Sergeants als furchtbar lästig empfunden. Sein Wissensdurst verwirrte ihn. Auch die Art, wie der Polizist die Augenbrauen gehoben hatte, als er das Zimmer sah, in dem das Kind gewesen war, gab nicht gerade Anlass zur Freude.
»Verzeihen Sie, Mr Parrish, dass ich noch einmal frage, aber ist das Ihre Tochter, über die wir hier reden?«, hatte er gefragt und seinen Blick über die leeren Regale, das rostige Bettgestell und die durchnässte Matratze ohne Laken und Decke schweifen lassen.
Parrish hatte sich zwingen müssen, die Fassung nicht zu verlieren. Schließlich war das Gesetz auf seiner Seite, auch wenn dieser übereifrige Polizist anderer Auffassung sein mochte.
Nachdem der Sergeant endlich gegangen war, rief er seine Leute zusammen. Sein Kopf brummte schrecklich, aber das war jetzt nicht zu ändern.
»Sie wollen Ärger«, sagte er, »nun, den können sie haben. Du – Harvey – gehst nach Whitechapel, zu Gorman. Achte darauf, dass er sie auch richtig aufwiegelt. Cropper, du bleibst hier, bis die Polizei das Kind wieder zurückbringt.«
»Meinen Sie wirklich, Mr Parrish, dass die Polizei das tun wird?«
»Selbstverständlich wird sie. Der Sergeant spielt keine Rolle. Der Stellvertretende Polizeidirektor ist mein Mann. Also, wie ich schon sagte, du bleibst hier, bis sie mit dem Kind zurückkommen, und sagst ihnen, sie sollen es nach Twickenham bringen, dorthin gehe ich jetzt nämlich.«
Damit warf er ein paar Sachen in eine Reisetasche. Doch der Mann schien nicht überzeugt.
»Und was ist mit Mr Lee?«, fragte er weiter.
»Was soll mit ihm sein?«, gab Parrish zurück, den anderen scharf anblickend. Dieser gepflegte kleine Kommissionär trug eine Wildheit in sich, die er nur selten von der Leine ließ. Wenn er dies, wie jetzt, doch einmal tat, zitterten sogar abgebrühte Kriminelle, ehemalige Insassen von Pentonville und Dartmoor, vor Angst.
»Er hat mir vorbehaltlos vertraut und sich dadurch selbst aufs Abstellgleis geschoben«, fügte Parrish hinzu. »Das werde ich nun ausnutzen, und nichts auf der Welt kann mich daran hindern, weil das Kind jetzt und für alle Zeiten rechtmäßig mir gehört. So, und jetzt los, bewegt euch.«
Daniel Goldberg zuckte zusammen. Der Arzt stach unbeeindruckt tiefer. »Was ist los? Trinken Sie die Medizin.«
»Das ist nicht die richtige Art Medizin.«
»Die beste. Schottischer Whisky. Na bitte, da haben wir es ja.«
Man hörte ein klirrendes Geräusch, etwas Hartes fiel in eine Metallschale. Goldberg atmete leise pfeifend aus.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich nehme stattdessen eine Zigarre.«
»Keine Zigarren. Medizin kann man nicht rauchen. Halten Sie still.«
Der Arzt tupfte ihn mit einer Lösung ab, die ziemlich brannte.
»Kann ich das haben, Doktor?«, fragte Tony und nahm die blutverschmierte Kugel mit zwei Fingern auf.
»Bitte, bedien dich«, sagte der Doktor. »Ich kann es nicht brauchen. Mr Goldberg auch nicht.«
Goldberg und die Jungen befanden sich in einer kleinen Arztpraxis in Soho. Der Arzt war ein Freund Goldbergs und Sozialist. Er hatte nur einen kleinen Seufzer ausgestoßen, ehe er sie eingelassen und sich an die Arbeit gemacht hatte.
Während er Goldbergs Schulter verband, sagte er: »Selbstverständlich bin ich nicht nur Mediziner, sondern auch Bürger.«
»Was soll das heißen?«
»Ich meine, eigentlich müsste ich die Polizei benachrichtigen, wenn Leute mit Steckschüssen zu mir
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