Der Tiger im Brunnen
Parrish die Ehe eingegangen bin. Seitdem ich davon erfahren habe, versuche ich seine Spur zu finden.«
Der alte Küster schaute aus der Sakristeitür und schloss dann ab. »Geben Sie mir doch Ihre Adresse, Miss«, bat er sie. »Nur für den Fall, dass ich etwas in dieser Sache hören sollte. Eigentlich nehme ich das nicht an. Mr Parrish ist hier sehr beliebt, zweifellos, die Apfelsinen und dergleichen, ein aufmunterndes Wort für jeden und immer spendabel bei der Kollekte. Aber Sie wissen ja, wie das ist. Manche Leute mag man, andere dagegen nicht.«
Sally fragte sich, ob sie ihm ein Trinkgeld geben sollte, entschied sich dann aber doch für eine Spende an die Armen. Mit Mr Beechs Adresse in der Handtasche machte sie sich auf den Heimweg nach Twickenham.
Dort wartete schon Besuch auf sie.
»Rosa! Wie schön, dich wiederzusehn. Du bist aber schnell gekommen – «
»Als ob ich da noch zu Hause herumhocken könnte. Für wen hältst du mich eigentlich?«
Rosa war die älteste Freundin, die sie hatte. Sie war Fredericks Schwester. Als Sally die Bekanntschaft der beiden machte, arbeitete Rosa – zum Verdruss ihrer Eltern – noch als Schauspielerin. Sie und ihr Bruder waren eine herbe Enttäuschung für den Vater; er war anglikanischer Bischof, doch anders als sein Bruder Webster Garland besaß er weder Genialität noch Humor noch Großherzigkeit. Er hatte es verstanden, jeden Kontakt der Kinder zu ihm und ihrer Mutter zu unterbinden. Erst als Rosa einen Geistlichen heiratete und die Arbeit am Theater aufgab, ließ er sich dazu herab, sie wieder als seine Tochter anzuerkennen. Fredericks Tod hatte ihn sicherlich sehr geschmerzt, doch er hatte die Nachricht schweigend zur Kenntnis genommen. Dass Frederick Vater war, würde ihm gegenüber niemals erwähnt werden, da war sich Sally sicher. Dennoch vermutete sie, dass Rosa es zumindest ihrer Mutter gesagt hatte.
Rosas Ehemann, Pfarrer Nicholas Bedwell, war da ganz anders. Er war in Sallys erstem Abenteuer mit von der Partie gewesen und hatte bei der Gelegenheit Rosa kennengelernt. Dieser freundliche, furchtlose Mann hatte in seiner Jugend geboxt, und obgleich er es als Priester nicht gern sah, dass Sally einem außerehelichen Kind das Leben geschenkt hatte, zeigte er als Mensch Verständnis und Mitgefühl. Er und Rosa liebten Harriet über alle Maßen. Aus Gründen der Diskretion war Sally, wenn sie die Familie des Pfarrers Bedwell besuchte, Mrs Lockhart. In gewisser Hinsicht war sie ja auch Witwe und dank dieser Vereinbarung konnte ihre Freundschaft weiterbestehen. Dennoch waren sowohl Sally als auch Rosa darüber nicht ganz glücklich.
Nicholas Bedwell war Pfarrer in einer großen Oxforder Gemeinde, daher konnte er sich nicht freimachen. Aber Rosa war sofort gekommen. Sie hatte ihre beiden Kinder in der Obhut der Kinderfrau gelassen. Nun saßen die beiden Freundinnen im Frühstückszimmer (das inzwischen mit neuen Schlössern und Riegeln gesichert war) und tranken Tee. Sally erzählte Rosa alles, angefangen mit dem Gerichtsdiener, der den Scheidungsantrag überbracht, bis zu dem Punkt, an dem sie von Mr Beechs Adresse erfahren hatte.
»Das ist die verrückteste Geschichte, die ich je gehört habe«, entrüstete sich Rosa. »Damit kann er doch unmöglich durchkommen. Was sagt dein Anwalt dazu? Ich meine, bei Gericht wird man doch bloß darüber lachen, oder?«
»Ich wünschte, mein Anwalt würde das Ganze etwas optimistischer sehen«, gestand Sally. »Er besteht darauf, den Unfug Punkt für Punkt zu widerlegen …« Sie schnippte ihr den Klageantrag zu, der zwischen ihnen auf dem Teetisch lag. »Dieser ganze Quatsch von wegen, ich sei Alkoholikerin und so, ich glaube nicht, dass es darauf ankommt. Ich meine, er sollte sich auf diese behauptete Eheschließung konzentrieren und sie so unter Beschuss nehmen, dass nichts mehr von ihr übrig bleibt. Aber er kann sich zu keiner eindeutigen Linie entschließen … Ich weiß nicht recht.«
»Dann wechsle den Anwalt, in Gottes Namen. Nimm dir einen wirklich fähigen.«
»Ich bin mir sicher, dass er ein fähiger Jurist ist. Er kennt die Finessen bei Gericht. Und als ich zuletzt in seiner Kanzlei war, hat er wirklich vernünftige Vorschläge gemacht …«
Aber ich war diejenige, die nach Clapham gefahren ist und Mr Beechs Adresse herausgefunden hat, dachte sie bei sich. Und ich habe das Heiratsregister in Portsmouth entdeckt. Und sein kostspieliger Detektiv, was hat der bisher getan?
Rosas rotes Haar leuchtete im
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