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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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sich nur noch in einem Hang zur gewundenen Ausdrucksweise regte. »Ich würde es vorziehen zu sagen, dass Ihr Eigentum, das Ihre Gattin gegen Ihre Absichten zweckentfremdet hat, wieder in Ihre Verfügungsgewalt zurückkehrt.«
    »Sagen Sie es, wie Sie wollen«, entgegnete Mr Parrish. »Es ist gehüpft wie gesprungen. Wenn das Gericht zu meinen Gunsten entscheidet, dann kommt nicht nur das Kind zu mir, sondern auch alles Geld und Eigentum, das sich jetzt noch im Besitz meiner Frau befindet. Ist das richtig?«
    »Genauso ist es«, bestätigte der Anwalt.
    »Keine Hindernisse in letzter Minute? Haben Sie die einstweilige Verfügung abgeschickt?«
    »Die einstweilige Verfügung ist heute Morgen überbracht worden.«
    »Ausgezeichnet«, sagte Mr Parrish. »Natürlich möchte ich mein Geld zurückbekommen, Mr Gurney, aber wissen Sie, woran mir noch mehr liegt?«
    Mr Gurney gab einen undefinierbaren Laut von sich, der höfliche Neugierde bekunden sollte.
    »An meinem lieben Töchterchen«, sagte Mr Parrish. »Ich würde ihrer Mutter das ganze Geld überlassen, wenn ich dafür nur das süße Goldkind wieder auf meine Schultern setzen könnte. Haben Sie Kinder, Mr Gurney?«
    Der Anwalt hatte zwei Söhne in Eton, beide faul und nur mäßig begabt, aber unmäßig teuer zu unterhalten. Die Vorstellung, dass diese Prachtsöhne auf seinen Schultern sitzen könnten, verursachte ihm Übelkeit. Er machte abermals nur ein undefinierbares Geräusch.
    »Dennoch«, sagte Mr Parrish und erhob sich, »darf ich die finanzielle Seite nicht vernachlässigen. Es ist beruhigend zu wissen, dass mein Töchterchen versorgt sein wird.«
    Mit diesen Worten verließ er das Büro. Mr Gurney hätte eigentlich über seinen Klienten staunen müssen, hätte er diese Fähigkeit noch besessen. Sie war ihm, ebenso wie Fantasie und Mitgefühl und das bereits erwähnte Gewissen, schon vor vielen Jahren abhandengekommen. So legte er denn Mr Parrishs Akte beiseite und wandte sich dem klaren, eindeutigen Fall einer Räumungsklage gegen eine Witwe zu.
     
    Erst draußen auf der Straße bemerkte Sally, dass sie Mr Adcock weder von dem Einbruch berichtet hatte noch von dem Mann in Harriets Zimmer und dem verschwundenen Teddybären.
    Sie ging noch ein paar Schritte weiter und stoppte dann am Gate House, wo die Middle Temple Lane in die Fleet Street mündet. Sollte sie umkehren und ihm alles erzählen? Beim Gedanken daran, wie er voraussichtlich reagieren würde, entschied sie sich dann aber dagegen. Sicherlich war es von Gesetzes wegen verboten, sich gegen Einbrecher zur Wehr zur setzen; es war unklug von ihr gewesen, zur Polizei zu gehen, dieser Schritt machte aus ihr eine Querulantin und das könnte das Gericht gegen sie einnehmen; sie musste sich nun auf weitere einstweilige Verfügungen gefasst machen, die bis zum Verbot gehen konnten, solche Vorkommnisse auch nur zu erwähnen; sie sollte alle neuen Schlösser und Riegel wieder entfernen und besser die alten wieder einbauen lassen, um den Einbrechern nicht weitere Hindernisse in den Weg zu legen …
    Selbst über ihre eigenen krausen Fantasien konnte Sally nicht lachen. Schon seit Tagen hatte sie nicht mehr gelacht und noch nicht einmal gelächelt. Zwar bemerkte sie es selbst nicht und Rosa hatte es ihr nicht sagen wollen, aber sie war blasser denn je und unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Schatten ab. Sie aß auch kaum noch, verspürte keinen Hunger. Nachts schlief sie unruhig. Beim leisesten Geräusch fuhr sie auf und konnte dann nicht wieder einschlafen. Wenn sie schließlich doch Schlaf fand, wurde sie von Albträumen gequält. So hatte sie in der vorangegangenen Nacht geträumt, sie habe Harriet auf einer Parkbank sitzen gelassen, um sich mit ihrem Anwalt in der Kanzlei zu besprechen. Darüber hatte sie das Kind dann vergessen. Erst auf dem Heimweg war es ihr wieder eingefallen. In Panik war sie in den Park zurückgelaufen und hatte die Bank, wie könnte es anders sein, leer gefunden. Sally wachte mit regelrechten Schuldgefühlen auf. Sogleich ging sie zu ihrer schlafenden Tochter, legte sich zu ihr ins Bett und schmiegte sich an sie. Immer würde sie bei ihr bleiben, sie nie allein lassen, das verspreche sie. Und während das kalte fahle Morgenlicht durch die Vorhänge drang, fiel ihr ein, dass der Prozesstermin wieder einen Tag näher gerückt war.
    Es kam ihr vor, als warte sie auf ihre Hinrichtung.
    Sie war daher nicht in der Lage, angemessen zu reagieren, als eine Hand sie beim Einbiegen in die

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