Der Tigermann
allein. Der riesige Diener oder Hüter, der sie sonst stets auf Schritt und Tritt bewachte, war nirgends zu sehen.
Der Pflanzer versuchte trotz des leichten Schwankens des Schiffes und des allzu reichlich genossenen Whiskys Haltung anzunehmen. Etwas schwerfällig näherte er sich dem Mädchen.
,,’n Tag«, grüßte er. »Schöner Nachmittag, finden Sie nicht auch?«
Das Mädchen wandte sich nicht einmal um. Als hätte sie nichts gehört, blickte sie weiter aufs Meer. Er ärgerte sich, daß sie ihn scheinbar ignorierte.
»Ich sagte guten Tag. Man sollte einen Gruß zumindest erwidern. Oder halten Sie nichts davon?« sagte er heftig.
Mein Gott, dachte er, sie ist wirklich eine Schönheit. Was tut’s schon, wenn sie ein Eisberg ist, um so mehr Spaß macht’s dann, ihn zum Schmelzen zu bringen.
Doch auch jetzt drehte sie sich nicht um.
»Aber verstehen Sie doch«, brummte er. »Wir sind auf einem Schiff, verstehn Sie? Auf einem Schiff soll man doch nett zueinander sein. Alles gute Freunde.«
Er war ihr nun so nahe, daß sie ihn aus den Augenwinkeln bemerkte. Sie wandte ihm das Gesicht zu. Er hielt den Atem an. Im Profil war es von klassischer Schönheit gewesen, aber es von vorn zu sehen, übertraf alles.
Ihre blauen Augen, Spiegel ihrer Seele, musterten ihn. Dann lächelte sie ihn unerwartet an. Die Kälte, die er vorher zu spüren glaubte, schmolz durch das herzliche Lächeln, mit dem sie ihn bedachte.
Plötzlich glaubte er zu verstehen.
»Ich bin doch ein Esel«, entschuldigte er sich. »Sie sprechen vielleicht gar kein Englisch. Französisch, Mamsell? Vous parlez Francais?«
Seine Aussprache war unmöglich. Auch jetzt fanden seine Bemühungen kein Echo. Aber das Lächeln hatte ihn ermutigt. Er gefiel ihr, das sah er. Zumindest wollte er eine angenehme Erinnerung auf seineeinsame Plantage in den Bergen mitnehmen.
»Hören Sie. Hätten Sie Lust einen kleinen Spaziergang mit mir auf dem Bootsdeck zu machen?«
Auf dem Bootsdeck gab es genügend unübersichtliche Winkel, und außerdem hielten die meisten Passagiere jetzt ohnehin ihr Mittagsschläfchen. Er nahm ihren Arm und war doch ein wenig überrascht, daß sie sich völlig widerspruchslos zum Bootsdeck führen ließ.
Hugo hatte gerade ein recht interessantes Studium in seiner Bekanntschaft mit der französischen Zofe der Frau des Gouverneurs von Bombay erreicht. Sie hatten sich in einen recht geräumigen Wandschrank zurückgezogen, der die Reinigungsutensilien für den Deckputz enthielt. Hier drinnen war es sowohl heiß als auch dunkel. Die Hitze war zweifellos ein Grund für ihre teilweise Blöße, aber vermutlich nicht der einzige.
»Cherie«, keuchte sie in sein Ohr. »Ah, cherie – ah – ah-«
Doch plötzlich klang das Schrillen von Alarmglocken in seinem Gehirn. Etwas stimmte nicht. Die ungewöhnliche geistige Verbindung, die zwischen den dreien zu unbestimmten Zeiten bestand, gewöhnlich jedoch, wenn einer von ihnen sich in Gefahr befand, zeigte sich auf heftige Weise an.
Vorsichtig öffnete Hugo die Tür des Wandschranks einen Spalt. Er stieß einen derben Fluch aus. Mara stand nicht mehr an der Reling, wo er sich von ihr getrennt hatte.
Er eilte an Deck. Die empörte und verwirrte Zofe strich ihre Kleidung glatt. Dafür würde er noch büßen, dieser Saukerl. Aber was für ein Mann er war! Was für ein Mann!
Das schwache Scharren von Füßen kam vom oberen Deck. Hugo nahm die Kajütentreppe vier Stufen auf einmal. Wie ein Spürhund hastete er über das Deck.
Er entdeckte die miteinander ringenden Gestaltenin einer Ecke des Deckhauses. Der Pflanzer hatte seine Arme um Mara geschlungen und küßte sie wild, obgleich sie sich heftig wehrte.
Kaum eine Sekunde später fand sich der bestürzte Pflanzer an den Schultern durch die Luft über die Reling geschwungen. Mit hervorquellenden Augen starrte er auf die Wellen tief unter sich.
»Schauen Sie es sich gut an, M’sieu«, knurrte eine Stimme in sein Ohr. »Schauen Sie es sich gut an. Denn das nächstemal schwimmt M’sieu da unten, wenn er es überhaupt kann. Niemand darf sie berühren, verstanden? Niemand!«
Er stellte den völlig verstörten Pflanzer zurück aufs Deck und gab ihm einen verhältnismäßig sanften Stoß. Dann wandte er sich Mara zu, die immer noch am selben Fleck stand. Ihre Augen blickten ihm völlig verwirrt entgegen.
»Was ist passiert?« rief Eli, der die Stufen emporgehastet kam. »Ich habe Maras Angst gespürt. Was war los?«
»Ein Mann, mon maitre « ,
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