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Der Tod auf dem Nil

Der Tod auf dem Nil

Titel: Der Tod auf dem Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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aussah. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und scharfe Züge um den Mund. «Was gibts?», fragte sie ruppig. «Was wollen Sie?»
    «Das Vergnügen einer kleinen Unterhaltung mit Ihnen, Mademoiselle. Wollen Sie mitkommen?»
    Sie zog augenblicklich ihren Schmollmund und schoss ihm einen argwöhnischen Blick zu. «Warum sollte ich?»
    «Ich ersuche Sie dringlich, Mademoiselle.»
    «Oh, ich nehme an –» Sie trat heraus und zog die Tür hinter sich zu. «Also?»
    Poirot nahm sanft ihren Arm und dirigierte sie das Deck entlang in Richtung Achterschiff. Sie kamen vorbei an den Badekabinen, bogen um die Ecke und hatten die ganze Steuerbordhälfte für sich allein. Hinter ihnen strömte der Nil davon. Poirot legte die Ellbogen auf die Reling.
    Rosalie stand steif und kerzengerade da. «Also?», fragte sie noch einmal, und ihre Stimme klang noch genauso ruppig.
    Poirot sagte langsam, jedes Wort bedächtig setzend: «Ich könnte Ihnen so manche Frage stellen, Mademoiselle, aber ich glaube nicht eine Sekunde, dass Sie sie freiwillig beantworten würden.»
    «Dann wars wohl Zeitverschwendung, mich hierher zu holen.»
    Poirot fuhr langsam mit einem Finger das Holzgeländer entlang. «Sie sind gewohnt, Mademoiselle, Ihr Päckchen allein zu tragen… Aber das kann man auch zu lange so machen. Die Last kann auch zu schwer werden. Für Sie, Mademoiselle, ist die Last allmählich zu schwer.»
    «Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden», sagte Rosalie.
    «Ich rede von Tatsachen, Mademoiselle – schlichten, hässlichen Tatsachen. Reden wir Klartext und machen wir es kurz. Ihre Mutter trinkt, Mademoiselle.»
    Rosalie sagte nichts. Sie klappte zwar den Mund auf, schloss ihn aber gleich wieder. Zum ersten Mal schien sie sprachlos.
    «Sie müssen nichts sagen, Mademoiselle. Ich werde das Reden übernehmen. Ich habe in Assuan angefangen, mich für die Beziehung zwischen Ihnen zu interessieren. Ich merkte sofort, dass Sie, im Gegensatz zu Ihren gut einstudierten untöchterlichen Sprüchen, Ihre Mutter in Wirklichkeit erbittert zu schützen versuchen. Ich wusste sehr schnell, vor was. Ich wusste es, lange bevor ich Ihre Mutter eines Morgens im unverkennbaren Zustand der Alkoholvergiftung traf. Noch schlimmer, es handelte sich, das erkannte ich auch, bei ihr um heimliches Trinken – bei weitem die schwierigste Art für die Umgebung. Sie haben sich mannhaft geschlagen. Aber sie ist gerissen wie alle heimlichen Säufer. Sie hat es wieder geschafft, sich einen geheimen Vorrat an Hochprozentigem anzulegen und vor Ihnen zu verstecken. Es würde mich nicht wundern, wenn Sie das Versteck erst gestern entdeckt hätten. Und deshalb haben Sie sich gestern Nacht, als Ihre Mutter richtig fest schlief, mitsamt Ihrem Fund hinausgeschlichen, sind hier herum auf die andere Seite des Schiffs gegangen (denn Ihre Kabine liegt auf der Landseite) und haben ihn in den Nil geworfen.» Er hielt inne. «Habe ich Recht oder nicht?»
    «Ja – Sie haben völlig Recht», sagte Rosalie überraschend heftig. «Es war vermutlich dumm, dass ich nicht davon erzählt habe! Aber ich wollte nicht, dass es alle erfahren. Es sollte einfach alles über Bord gehen. Und es kam mir so – so absurd – ich meine – dass ich –»
    Poirot beendete ihren Satz: «So absurd vor, dass man Sie verdächtigt, einen Mord begangen zu haben?»
    Rosalie nickte. Dann brach es wieder aus ihr heraus. «Ich habe mir solche Mühe gegeben, dass kein Mensch etwas erfährt… Es ist doch nicht ihre Schuld. Sie hat einfach keinen Mut mehr. Ihre Bücher gehen nicht mehr. Die Leute haben das ganze billige Sexzeug satt… Das war eine Kränkung für sie – eine entsetzliche Kränkung. Und deshalb hat sie angefangen zu – zu trinken. Ich wusste selber lange nicht, warum sie so komisch ist. Als ich es dann wusste, habe ich versucht sie davon abzubringen. Das ging immer eine Weile gut, aber plötzlich fing sie wieder an und dann gab es entsetzliche Streitereien und Kräche mit allen Leuten. Es war schrecklich.» Sie schauderte. «Ich war ständig auf der Hut – um sie abzuhalten… Und dann – fing sie an, mir ihre Zuneigung zu entziehen. Sie hat sich – hat sich richtig von mir abgewandt. Ich glaube, manchmal hasst sie mich fast.»
    «Pauvre petite», sagte Poirot.
    Sie fuhr heftig herum. «Kommen Sie mir nicht mit Mitleid. Seien Sie nicht so nett. Es ist einfacher, wenn Sie es nicht sind.» Sie seufzte einmal tief und herzzerreißend auf. «Ich bin so müde… Ich bin einfach unendlich

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