Der Tod auf dem Nil
Stola im Salon beim Holen der Pistole? Wenn ja, warum wurde sie vorher bei der Suche nicht gefunden? War sie eventuell immer bei Miss Van Schuyler? Das heißt: Hat Miss Van Schuyler Linnet Doyle ermordet? Hat sie absichtlich gelogen, als sie Rosalie Otterbourne beschuldigte? Wenn sie sie ermordet hat, mit welchem Motiv?
Andere Möglichkeiten:
Motiv Raub. Möglich, da Perlen verschwunden, aber mit Sicherheit getragen von Linnet Doyle gestern Abend.
Jemand mit Groll gegen Familie Ridgeway. Möglich – aber ebenfalls bisher nicht nachweisbar.
Wir wissen, dass sich an Bord ein gefährlicher Mann befindet – ein Killer. Wir haben also einen Killer und einen Todesfall. Könnte zwischen beiden nicht eine Verbindung bestehen? Dazu müssten wir allerdings nachweisen, dass Linnet Doyle gefährliche Informationen über diesen Mann besaß.
Fazit: Wir können die an Bord Befindlichen in zwei Klassen sortieren – Personen, die ein mögliches Motiv hatten oder gegen die es eindeutige Beweise gibt, und Personen, die unseres Wissens nicht verdächtig sind:
Gruppe I
Gruppe II
Andrew Pennington
Mrs. Allerton
Fleetwood
Tim Allerton
Rosalie Otterbourne
Cornelia Robson
Miss Van Schuyler
Miss Bowers
Louise Bourget (Raub?)
Dr. Bessner
Ferguson (polit. Motiv?)
Signor Richetti
Mrs. Otterbourne
James Fanthorp
Poirot schob die Seiten zurück. «Sehr richtig, sehr exakt, was Sie da geschrieben haben.»
«Sie sind damit einverstanden?»
«Ja.»
«Und was wollen Sie noch beitragen?»
Poirot setzte sich bedeutungsvoll aufrecht. «Ich stelle mir eine Frage: Warum wurde die Pistole über Bord geworfen?»
«Das ist alles?»
«Im Augenblick ja. Solange ich auf diese Frage keine zufrieden stellende Antwort habe, ergibt auch alles andere keinen Sinn. Das heißt – sie muss der Ausgangspunkt sein. Sie werden bemerken, mein Freund, dass Sie diese Frage in Ihrer Zusammenfassung vom Stand der Dinge nicht zu beantworten versucht haben.»
Race zuckte die Schultern. «Panik zum Beispiel.»
Poirot schüttelte ratlos den Kopf. Er nahm die nasse Samtstola hoch und breitete sie, tropfend und schlabberig, wie sie war, auf dem Tisch aus. Dann fuhr er mit den Fingern über die versengten Stellen und Brandlöcher. «Sagen Sie mal, mein Freund», sagte er plötzlich, «Sie sind bewanderter in Sachen Feuerwaffen als ich. Macht so ein Ding hier um eine Pistole gewickelt wirklich viel aus für die Lautstärke des Schusses?»
«Nein, macht es nicht. Jedenfalls nicht so viel wie ein Schalldämpfer zum Beispiel.»
Poirot nickte und fuhr fort. «Ein Mann – natürlich einer, der viel Umgang mit Feuerwaffen hatte – wüsste das. Eine Frau dagegen – eine Frau wüsste das nicht.»
Race sah ihn neugierig an. «Vermutlich nicht.»
«Nein. Sie hätte ihre Bildung aus Detektivgeschichten, die es mit Details nicht immer sehr genau nehmen.»
Race schnippte gegen die kleine Pistole mit dem Perlmuttgriff. «Der kleine Bursche hier macht sowieso nicht viel Krach», sagte er. «Nur ‹Plopp›, mehr nicht. Ich wette zehn zu eins, dass Sie das bei irgendwelchen Nebengeräuschen nicht hören würden.»
«Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht.» Poirot nahm das Taschentuch in die Hand und untersuchte es. «Ein Männertaschentuch – aber keins für Gentlemen. Ce cher Woolworth, könnte ich mir vorstellen. Drei Pence, höchstens.»
«Die Sorte Taschentuch, die einer wie Fleetwood hätte.»
«Ja. Andrew Pennington, habe ich bemerkt, benutzt eins aus feinster Seide.»
«Und Ferguson?», überlegte Race.
«Möglich. Als Demonstration. Das müsste dann aber eher ein buntes Halstuch sein.»
«Das hier ist statt Handschuhen benutzt worden, vermute ich, um die Pistole zu halten ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen.» Und halb scherzhaft setzte Race hinzu: «Das Rätsel des errötenden Schnupftuchs.»
«Ah, ja. Ziemlich jeune fille, die Farbe, nicht?» Poirot legte es wieder weg und untersuchte noch einmal die Pulverspuren auf der Stola. «Trotz allem», murmelte er, «es ist doch merkwürdig…»
«Was denn?»
Sanft sagte Poirot: « Cette pauvre Madame Doyle. Liegt ganz friedlich da… mit einem kleinen Loch im Kopf. Sie wissen doch noch, wie sie aussah?»
Race sah ihn fragend an. «Also», sagte er, «es kommt mir vor, als ob Sie mir etwas zu sagen versuchten – aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, was.»
Neunzehntes Kapitel
E s klopfte an der Tür.
«Herein!», rief Race.
Ein Steward trat ein. «Entschuldigung, Sir»,
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