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Der Tod auf dem Nil

Der Tod auf dem Nil

Titel: Der Tod auf dem Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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rekonstruieren.»
    «Der Mörder kommt zu ihr in die Kabine, gibt ihr das Geld und dann…»
    «Und dann», sagte Poirot, «sie zählt es. O ja, ich kenne ihre Klasse. Sie würde das Geld zählen, und während sie es tat, war sie nicht mehr auf der Hut. Da hat der Mörder zugestochen und danach das Geld wieder eingesammelt und ist geflüchtet – ohne zu merken, dass von einer Banknote eine Ecke abgerissen war.»
    «Vielleicht kriegen wir ihn damit», überlegte Race laut, aber skeptisch.
    «Das bezweifle ich», sagte Poirot. «Er wird sich die Scheine genau ansehen und vermutlich merken, dass einer abgerissen ist. Natürlich, wenn er zur Knauserei neigt, dann bringt er es nicht über sich, mille francs zu vernichten – aber ich habe die starke Befürchtung, dass er genau die umgekehrte Einstellung hat.»
    «Woraus schließen Sie das?»
    «Sowohl dieses Verbrechen als auch der Mord an Madame Doyle setzen gewisse Eigenschaften voraus – Mut, Kühnheit, kaltblütige Durchführung, blitzartiges Agieren. Solche Eigenschaften passen nicht zusammen mit der Anlage zu Sparsamkeit und Vorsicht.»
    Race schüttelte traurig den Kopf. «Ich lasse jetzt wohl besser Dr. Bessner kommen», sagte er.
    Die Untersuchung des stattlichen Arztes dauerte nicht lange. Er machte sich, unter etlichen Achs und Sos, gleich an die Arbeit. «Sie ist nicht länger als eine Stunde tot», verkündete er dann. «Der Tod, der war sehr schnell – sofort.»
    «Und was für eine Waffe, glauben Sie, wurde benutzt?»
    «Ach, das ist interessant, ja. Es war etwas sehr Scharfes, sehr Dünnes, sehr Feines. Ich könnte Ihnen die Art Gegenstand zeigen.»
    Sie gingen in seine Kabine, und dort öffnete er einen Instrumentenkoffer und holte ein langes, schmales Skalpell hervor.
    «Es war etwas in der Art, mein Freund; es war kein gewöhnliches Messer zum Essen.»
    «Ich nehme an», fragte Race vorsichtig, «dass keins von Ihren Messern hier – äh – fehlt, Doktor?»
    Dr. Bessner starrte ihn an; dann wurde sein Gesicht rot vor Empörung. «Was sagen Sie da? Glauben Sie, ich – ich, Dr. Carl Bessner – berühmt in ganz Österreich – ich mit meiner Klientel, meinen hochwohlgeborenen Patienten – ich habe eine erbärmliche kleine femme de chambre umgebracht? Ah, das ist ja wohl lächerlich – absurd, was Sie da sagen! Keins von meinen Messern fehlt – nicht ein einziges, das sage ich Ihnen. Sie sind alle da, korrekt an ihrem Platz. Das können Sie selbst sehen. Aber diese Schmähung meines Standes, das werde ich mir merken.» Dr. Bessner knallte seinen Koffer zu, setzte ihn unsanft auf den Boden und stampfte wütend hinaus aufs Deck.
    «Puh!», sagte Simon. «Sie haben den alten Knaben aber hochgebracht.»
    Poirot zuckte die Schultern. «Wie bedauerlich.»
    «Sie sind auf dem Holzweg. Der alte Bessner ist einer der Besten, auch wenn er etwas grobschlächtig ist.»
    Dr. Bessner kam plötzlich zurück. «Hätten Sie die Freundlichkeit, mir jetzt meine Kabine zu überlassen? Ich muss meinem Patienten den Verband wechseln.»
    Miss Bowers war bei ihm und wartete, ganz tüchtiger Profi, bis Poirot und Race gingen.
    Sie schlichen hinaus. Draußen lief Race murmelnd davon. Poirot ging nach links. Er hörte Fetzen einer mädchenhaften Unterhaltung mit kleinen Lachern. Sie kamen von Jacqueline und Rosalie aus der Kabine von Rosalie.
    Beide standen an der offenen Tür. Als Poirots Schatten auf sie fiel, drehten sie die Köpfe zu ihm. Er stellte fest, dass Rosalie ihn zum ersten Mal anlächelte – ein schüchternes, einladendes Lächeln – noch ein wenig unsicher, wie von jemandem, der etwas Neues, Ungewohntes tut.
    «Sie klatschen, Mesdemoiselles?», fragte er vorwurfsvoll.
    «Nein, gar nicht», sagte Rosalie. «Eigentlich hatten wir gerade Lippenstifte verglichen.»
    Poirot lächelte. «Les chiffons d ’ aujourd ’ hui», murmelte er dann.
    Aber etwas an seinem Lächeln war ein bisschen mechanisch und Jacqueline de Bellefort, die schneller schaltete und besser beobachtete als Rosalie, sah es. Sie legte den Lippenstift aus der Hand und kam heraus.
    «Ist etwas – was ist jetzt wieder passiert?»
    «Wie Sie richtig raten, Mademoiselle, es ist etwas passiert.»
    «Was?» Rosalie kam ebenfalls heraus.
    «Noch ein Todesfall», sagte Poirot.
    Rosalie hielt den Atem an. Poirot beobachtete sie aus nächster Nähe. Er sah, dass ihre Augen einen Moment lang Erschrecken und noch etwas – Bestürztheit – zeigten.
    «Madame Doyles Dienstmädchen ist umgebracht worden»,

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