Der Tod auf dem Nil
verschwunden.»
«Verschwunden ? »
Race sagte nachdenklich: «Sie könnte die Perlen gestohlen haben. Sie ist die Einzige, die jede Gelegenheit hatte, eine Replik davon machen zu lassen.»
«Und als sie gemerkt hat, dass es eine Durchsuchung gibt, ist sie über Bord gesprungen?», überlegte Simon.
«Unfug», erwiderte Race gereizt. «Keine Frau kann am helllichten Tag über Bord springen auf so einem Schiff, ohne dass das jemand mitkriegt. Sie muss irgendwo an Bord sein.» Er wandte sich noch einmal an die Stewardess. «Wann ist sie zuletzt gesehen worden?»
«Ungefähr eine halbe Stunde bevor die Glocke zum Mittagessen geläutet hat, Sir.»
«Wir sehen uns auf jeden Fall ihre Kabine an», sagte Race. «Vielleicht erfahren wir da etwas.»
Er ging vor in Richtung Unterdeck. Poirot folgte ihm. Sie schlossen die Tür auf und traten in die Kabine.
Louise Bourget, deren Metier es war, anderer Leute Sachen in Ordnung zu halten, hatte offensichtlich Feierabend, wo es um ihre eigenen ging. Auf der Kommode lag Krempel kreuz und quer; ein Koffer stand sperrangelweit offen, Kleider hingen an den Seiten heraus, weshalb er sich nicht schließen ließ; Unterwäsche baumelte von den Stuhllehnen.
Poirot zog mit spitzen flinken Fingern die Schubladen der Kommode auf, Race untersuchte den Koffer.
Louise’ Schuhe standen in Reih und Glied dicht neben dem Bett. Einer davon, ein schwarzer Lackschuh, schien allerdings in einem ungewöhnlichen Winkel fast in der Luft zu hängen. Er sah so merkwürdig aus, dass Race aufmerksam wurde.
Er klappte den Koffer zu und beugte sich über die Reihe Schuhe. Dann stieß er einen scharfen Laut aus.
«Qu ’ est-ce qu ’ il y a?»
Race sagte grimmig: «Sie ist nicht verschwunden. Sie ist hier – unterm Bett…»
Dreiundzwanzigstes Kapitel
D er Körper der Toten, die zu Lebzeiten Louise Bourget gewesen war, lag auf dem Boden der Kabine. Die beiden Männer beugten sich über sie.
Race richtete sich als Erster wieder auf. «Seit einer knappen Stunde tot, würde ich sagen. Wir holen Bessner her. Herzstich. Tod ziemlich rasch eingetreten, möchte ich meinen. Hübsch sieht sie nicht aus, was?»
«Nein.» Poirot schüttelte leicht schaudernd den Kopf.
Das dunkle, katzenhafte Gesicht war verzerrt, als wäre Louise überrascht und wütend gewesen, die Lippen gaben die Zähne frei.
Poirot beugte sich sanft wieder hinab und nahm ihre rechte Hand. Sie hielt deutlich etwas in den Fingern. Er zog es heraus und zeigte es Race; es war ein abgewetztes Papierfetzchen in schmutzig blassem Dunkelrosa. «Erkennen Sie das?»
«Geld», sagte Race.
«Die Ecke einer Tausendfrancnote, nehme ich an.»
«Tja, dann ist klar, was passiert ist», sagte Race. «Sie wusste etwas – und sie hat den Mörder mit ihrem Wissen erpresst. Wir fanden sie ja auch heute Morgen nicht ganz aufrichtig.»
«Wir waren Idioten – Trottel!», rief Poirot laut. «Wir hätten es wissen müssen – da schon. Was hat sie gesagt? ‹Was hätte ich sehen oder hören sollen? Ich war auf dem Unterdeck. Natürlich, wenn ich nicht hätte schlafen können, wenn ich die Treppe hochgegangen wäre, dann hätte ich den Mörder vielleicht gesehen, dieses Ungeheuer, wie es in Madames Kabine geht oder wieder rauskommt, aber so –› Natürlich, genau das ist passiert! Sie ist hochgegangen. Sie hat jemanden in Linnet Doyles Kabine schlüpfen oder herauskommen sehen. Und wegen ihrer Gier, ihrer unvernünftigen Gier, liegt sie jetzt hier –»
«Und wir wissen kein bisschen besser, wer sie getötet hat», vollendete Race angewidert.
Poirot schüttelte den Kopf. «Doch, doch. Wir wissen jetzt viel mehr. Wir wissen – wir wissen fast alles. Nur, was wir wissen, erscheint unglaublich… Aber so muss es sein. Nur, ich verstehe nicht – pah 1 . Was für ein Trottel war ich heute Morgen! Wir hatten das Gefühl – alle beide hatten wir es –, dass sie uns etwas verheimlichte, aber auf den logischen Grund dafür sind wir nicht gekommen: Erpressung.»
«Sie muss sofort Schweigegeld verlangt haben», sagte Race. «Und zwar drohend. Der Mörder war gezwungen auf die Forderung einzugehen und zahlte mit französischen Noten. Sind hier noch welche?»
Poirot schüttelte nachdenklich den Kopf. «Ich glaube kaum. Viele Leute nehmen kleine Geldvorräte mit auf Reisen – mal Fünfpfundnoten, mal Dollar, aber oft auch Franc. Möglicherweise hat der Mörder ihr gegeben, was er hatte, in gemischten Währungen. Lassen Sie uns weiter
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