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Der Tod auf dem Nil

Der Tod auf dem Nil

Titel: Der Tod auf dem Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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meinen, es geht ihm schlechter?»
    «Nun, ich muss sagen, ich bin erst beruhigt, wenn wir anlegen und eine anständige Röntgenaufnahme und die ganze Sache unter Narkose sauber bearbeitet kriegen. Wann, denken Sie, sind wir in Shellal, Monsieur Poirot?»
    «Morgen früh.»
    Miss Bowers zog einen spitzen Mund und schüttelte den Kopf. «Was für ein Glück. Wir tun, was wir können, aber die Gefahr einer Sepsis ist doch sehr groß.»
    Jacqueline packte Miss Bowers’ Arm und schüttelte ihn. «Muss er sterben? Muss er sterben?»
    «Liebe Güte, nein, Miss de Bellefort. Das heißt, ich hoffe, nein, bestimmt nicht. Die Wunde an sich ist nicht gefährlich, aber sie muss zweifellos so schnell wie möglich geröntgt werden. Außerdem hätte der arme Mr. Doyle heute natürlich absolute Ruhe haben müssen. Er hatte viel zu viel Kummer und Aufregung. Kein Wunder, dass seine Temperatur steigt. Allein der Schock über den Tod seiner Frau und was dann alles noch dazukam…»
    Jacqueline ließ den Arm der Krankenschwester wieder los und wandte sich ab. Sie lehnte sich über die Reling und drehte den beiden den Rücken zu.
    «Ich will nur sagen, wir müssen immer das Beste hoffen», sagte Miss Bowers. «Natürlich ist Mr. Doyles Konstitution sehr kräftig – das sieht man. Vermutlich war er in seinem ganzen Leben noch keinen Tag krank. Das ist also ein Vorteil. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass der Temperaturanstieg ein böses Zeichen ist und…» Sie schüttelte den Kopf, zog noch einmal die Manschetten zurecht und ging eilig davon.
    Jacqueline drehte sich um und taumelte mit tränenblinden Augen zu ihrer Kabine. Eine Hand unter einem ihrer Ellbogen stützte und führte sie. Sie sah hoch und erkannte durch die Tränen hindurch Poirot neben sich. Sie lehnte sich leicht an ihn und er geleitete sie durch die Kabinentür. Sie sank aufs Bett, und dann strömten die Tränen richtig, unterbrochen von heftigen Schluchzern. «Er stirbt! Er stirbt! Ich weiß, dass er stirbt… Und ich habe ihn umgebracht. Ja, ich habe ihn dann umgebracht…»
    Poirot zuckte die Schultern und schüttelte traurig den Kopf. «Mademoiselle, was geschehen ist, ist geschehen. Man kann eine getane Tat nicht ungeschehen machen. Es ist zu spät zum Bereuen.»
    Sie rief noch heftiger: «Ich habe ihn umgebracht! Dabei liebe ich ihn so… Ich liebe ihn so sehr.»
    Poirot seufzte. «Zu sehr…»
    Dieser Gedanke war ihm schon vor langer Zeit in Monsieur Blondins Restaurant gekommen. Und jetzt kam er ihm wieder.
    Ein bisschen zögernd sagte er: «Glauben Sie auf keinen Fall alles, was Miss Bowers sagt. Krankenschwestern, also, ich finde, die malen immer so schwarz! Die Nachtschwester, sie ist immer erstaunt, wenn ihr Patient abends noch lebt; die Tagschwester, sie ist immer überrascht, wenn er morgens noch lebt! Sehen Sie, die wissen zu viel von dem, was alles eintreten kann. Wenn man Auto fährt, könnte man sich auch sagen: ‹Wenn jetzt ein Wagen aus der Querstraße kommt – oder wenn der Laster da jetzt zurücksetzt – oder wenn jetzt bei dem Auto da der Reifen abfällt – oder wenn ein Hund von der Hecke da mir auf den Arm springt – eh bien, dann bin ich wahrscheinlich tot!› Und trotzdem nimmt man, und meistens zu Recht, an, dass nichts von alldem wirklich passieren wird und man durchkommt. Wenn man natürlich einen Unfall gehabt oder einen oder mehrere Unfälle erlebt hat, dann neigt man leicht zum Gegenteil.»
    Halb durch die Tränen hindurch lächelnd, fragte Jacqueline: «Versuchen Sie mich zu trösten, Monsieur Poirot?»
    «Weiß der bon Dieu, was ich gerade versuche! Sie hätten diese ganze Reise nicht machen sollen.»
    «Ja – jetzt wünschte ich auch, ich hätte sie lieber nicht gemacht. Es war – so schrecklich. Aber – jetzt ist es bald vorbei.»
    «Mais oui – mais oui.»
    «Und Simon kommt in ein Krankenhaus und kriegt eine ordentliche Behandlung und alles wird wieder gut.»
    «Sie reden wie ein Kind! ‹Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.› Das meinen Sie doch, oder?»
    Sie lief scharlachrot an. «Monsieur Poirot, das wollte ich nie – niemals –»
    «Es ist noch zu früh für solche Gedanken! So sehen das die braven Heuchler, nicht wahr? Aber Sie sind halb Südländerin, Mademoiselle Jacqueline. Sie sollten Tatsachen zugeben können, auch wenn sie nicht ganz schicklich klingen. Le roi est mort – vive le roi! Die Sonne geht unter und der Mond geht auf. So ist es doch, nicht wahr?»
    «Sie verstehen gar nichts. Ich

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