Der Tod bin ich
Colin die Fotografie, auf der Kaltenbrunner mit Fred Fridge abgebildet war.
– Punkt zwei, wir fordern eine Erklärung ein, warum man uns bei einem so privilegierten Zugang zu Informationsträgern nicht mal Erkenntniskrümelchen herübergereicht hat.
Joe drückte die Kippe im Aschenbecher aus.
– Du hast vollkommen recht, Colin. Es wird eine ziemliche Menge Ärger geben, aber dabei geht es nicht um meinen, sondern um euren Arsch. Und ich würde mal vermuten, dass unsere Leute bei solchen Auseinandersetzungen das deutlich größere Kaliber im Halfter stecken haben.
Joe wartete einen Moment ab. Colin war bleich geworden.
– Und, Colin? Hören wir jetzt was?
– Ich bin nicht autorisiert, dir etwas zu unserer Operation zu sagen. Ruf Fred an!
Joe zögerte, dann aber schob ihm Rothfuss das Telefon zu.
– Hier ist Abe. Abe aus Red Rock.
– Hier ist Isaac.
– Was kann ich für dich tun?
– Wir sollten uns unterhalten.
– Gute Idee, in zwei Wochen bin ich ohnehin wieder in Deutschland.
– Das wird nicht reichen, sagte Joe, du solltest besser gleich herkommen. Ich habe da einen jungen Mann neben mir sitzen, der ein Problem hat.
Er reichte den Hörer an Colin.
– Du musst hier einiges aufklären, sonst ist unsere Operation gescheitert.
– Okay, ich bin morgen früh da.
29.
Die Beziehung zu Ella war ein nicht mehr wegzudenkender Teil meines Lebens geworden. Wir sahen uns fast jeden Tag. Ich hatte ihr einen Schlüssel zu meiner Wohnung gegeben, sodass sie nach Belieben ein und aus gehen konnte. Manchmal saß sie bereits im Wohnzimmer auf der Couch und las, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam. Wir genossen die Vertrautheit miteinander und verdrängten, dass wir bis zu Ellas Abreise nur noch drei Wochen hatten. Keiner von uns hatte eine Vorstellung, was hinterher werden könnte. Wir wagten gar nicht, unsere Zukunft zu durchdenken. Jeder behielt seine Überlegungen für sich. Aus gutem Grund, denn die Hindernisse, die sich auftürmten, waren ganz unterschiedlich, gleichwohl scheinbar unüberwindlich.
Ella war das einzige Kind in einer Bauernfamilie, die fest damit rechnete, dass sie einen geeigneten Mann heiraten würde, mit dem sie den Hof fortführen konnte. Der Rettachhof war ein Erbhof seit dem vierzehnten Jahrhundert, und man merkte ihr die Furcht vor dem Gedanken an, dass sie womöglich als Erste die Generationenfolge durchbrechen würde. Ihre Scheu machte sie stumm und führte mir das Ausmaß der Widerstände vor Augen. Selbst wenn man das hätte regeln und sie aus ihren Verpflichtungen hätte auslösen können, blieb das Problem, dass ich zwar im Moment eine gute Stellung innehatte, die ich jedoch, dessen war ich sicher, nach meiner Selbstanzeige und meinem Geständnis, verlieren würde. Ich wusste gar nicht, welche Talente und Möglichkeiten mir über die Physik hinaus zur Verfügung standen. Mehr als einmal versuchte ich mir vorzustellen, ob ich einen Bauern abgeben könnte. Aber selbst wenn ich mich dort hineingefunden hätte, durfte ich nicht damit rechnen, dass Ella nach den bevorstehenden Enthüllungen überhaupt noch mit mir zusammenbleiben wollte. Meine wissenschaftliche Reputationwar dann beschädigt, ein Doppelagent, gleichgültig aus welchen Motiven er es geworden war, hatte etwas Ehrloses an sich. Ella jetzt schon über meine verfahrene Situation aufzuklären hatte ich ausgeschlossen. Das Wissen, das sie dann mit mir teilte, gefährdete sie, und Schutz konnte ich ihr nicht bieten.
So waren wir in eine Zwickmühle geraten, weil das, was uns am meisten am Herzen lag, nicht angesprochen werden durfte. Aber irgendetwas musste passieren, es sei denn, wir hätten uns damit abgefunden, sang- und klanglos auseinanderzugehen. Aus dieser Notlage heraus verfiel ich auf den Gedanken, besser gesagt: die Fantasie, dass sich jeder Knoten durchhauen ließe, wenn wir unsere Beziehung nicht von äußeren Problemen her durchdachten, sondern sie vom Zentrum her anpackten, von unserer Liebe füreinander. Wenn wir uns ihrer sicher waren, würde sich ein Ausweg finden lassen. Diese romantische Idee hatte mich entflammt und brachte mich innerlich so zum Glühen, dass ich jeden Realitätssinn über Bord warf.
Ich lud Ella ein, mit mir ein Wochenende am Königssee zu verbringen. Weniger als diesen hoch gelegenen See und seine dramatische Bergkulisse wollte ich mir für einen Liebesschwur nicht vorstellen.
Ella wirkte zaghaft, als sie zusagte. Ich nahm an, sie spürte, worum es mir ging. Unser
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