Der Tod bin ich
Daraufhin sind wir eingestiegen. Ist doch eine saubere Lösung?
Fred wiegte den Kopf, schließlich nickte er.
– Okay.
– Dann lass mich deine Geschichte noch mal in dürren Worten zusammenfassen, nur um sicherzugehen, dass wir denselben Stand haben. Hey Rothfuss!
Rothfuss schreckte hoch. Er hatte den Schlagabtausch der beiden aus der Distanz verfolgt.
– Rothfuss, schreib mit. Das ist für das Protokoll!
Rothfuss signalisierte Schreibbereitschaft.
– Unseren geschätzten Freunden vom MI6 ist es gelungen, eine in Deutschland operierende Gruppe sowjetischer Agenten zu identifizieren. Da darfst du richtig in die Vollen gehen!
Fred verzog das Gesicht.
– Ab jetzt gebe ich dir nur noch Stichpunkte, den Rest pinselst du selber aus, ja? Resident ist Aaron Malikow. Schlüsselfiguren sind Svetlana Meydell alias Katharina Rose und Bertold Oftenhain, beide im Institut Kaltenbrunner an leitender Stelle tätig. Grund: Rose hat einen vollständigen Einblick in alle Verwaltungsabläufe, Oftenhain steht vor einer wichtigen physikalischen Entdeckung. Beide sind in den Mord am Agenten James Canute, im Dienst bekannt als Razor, verwickelt. Canute war es gelungen, Rose als Meydell zu enttarnen. Um sie zu schützen, wurde Canute von KGB-Leuten umgebracht. Um unsere Ermittlungen zu erschweren, hat man uns durch Oftenhain gefälschte Fotos zugeschoben, die ein Interesse des MI6 an seinem Tod dokumentieren sollten.
Joe sah Fred an.
– Auf das Wesentliche heruntergekocht, ist es das doch, oder?
Fred nickte.
– Okay, Rothfuss, dann arbeite das zu Berichtslänge aus.
Joe, der auf und ab gelaufen war, setzte sich auf seinen Schreibtisch und bot Fred eine weitere Zigarette an.
– Was wirklich noch in mir rumort, ist die Sache mit Oftenhain. Offenbar arbeitet dieses Charakterschwein seit fast zehn Jahren für die Gegenseite. Das will mir einfach nicht in den Kopf!
– Sippenhaft! Das Format eines Überzeugungstäters hat er nicht. Sein Vater saß damals in Bautzen ein. Plötzlich haben sie den Altenfreigelassen. Wir vermuten einen Deal. Dadurch haben sie ihn am Wickel, und du weißt, dass man aus einer solchen Klemme nicht mehr herauskommt.
– Habt ihr schon recherchiert, was passiert, wenn wir sie hochgehen lassen?
Fred zuckte die Achseln.
– Klar, das Übliche eben. Malikow genießt diplomatische Immunität, man kann ihn allenfalls ausweisen. Die anderen beiden sitzen eine Weile ein, bis das Spielchen mit dem Austausch beginnt. Wir können sie ausquetschen, solange sie in Gewahrsam gehalten werden können. Ansonsten …
Fred blies den Rauch ostentativ nach unten.
– … fixiert die Gerichtsverhandlung nur den Preis für ihren Austausch.
Joe beugte sich vor.
– Dann lass mal hören, wie Colin und du das weitere Vorgehen geplant haben.
32.
Meine Gemütsverfassung war von einem Gemisch aus gegenläufigen Gefühlen beherrscht. Lachen und Weinen waren mir gleichermaßen nah, aber ich gab weder dem einen noch dem anderen nach und flüchtete mich in verzweifelte Tatkraft, um in einem Kraftakt mein Projekt zu einem raschen Ende bringen zu können. Nur damit glaubte ich, verhandlungsfähig für meine Zukunft und unser weiteres Fortkommen zu sein.
Wieder blieb ich, wie schon die letzten Tage zuvor, bis spät in die Nacht im Institut. Drüben vom Kirchturm schlug die Uhr elf. Die Dunkelheit draußen wurde dicht wie Watte. Ich schlang mir eine Decke um den Leib und setzte meine Mütze auf, denn im Gebäude wardie Heizung nun abgestellt worden. Sicher wäre es am besten gewesen, aufzuhören und nach Hause zu gehen, aber ich hatte mich festgebissen und geriet in einen Zustand, in dem mir der Gegenstand, auf den ich mich eigentlich zu konzentrieren hatte, zunehmend entglitt. Je mehr ich mich auf letzte mathematische Details zu beschränken versuchte, die ich noch zu überprüfen hatte, desto mehr trieben meine Gedanken dem großen Ganzen zu. Offenbar sträubte sich etwas in mir, die Ziellinie, die ich schon vor mir hatte, zu überqueren. Ich kämpfte plötzlich mit heftigen Zweifeln.
Konnte eine Formel, die den Schöpfungsgrund unseres Universums zu beschreiben versuchte, jemals ausreichend Aussagekraft gewinnen? Unser Verstehen kam grundsätzlich zu spät. Auch in der Physik setzte die Eule der Minerva erst in der Dämmerung zu ihrem Flug an. Wir beschäftigten uns ausschließlich mit Gegebenheiten, die bereits abgeschlossen und zu etwas geronnen waren. Musste sich das Tatsächliche so entwickeln, wie es uns
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