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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Ausflug war von vorneherein mit Bedeutung überladen. Auch im Zug lockerte sich unsere Verkrampfung nicht. Kaum, dass wir ein Thema fanden. Jedes Gespräch wurde doppelbödig, hinter jedem Satz lauerte ein Hinterhalt. Ich verwünschte meine Idee. Das Arrangement war wie die Inszenierung einer schlechten Oper, Akt und Kulisse der Liebesarie standen bereits fest, alles bis dahin war nur ein lästiger Umweg.
    Ich fasste Ella an den Händen und versuchte ihren Blick auf mich zu ziehen.
    – Lass uns einfach ein schönes Wochenende miteinander verbringenund alles andere vergessen! Irgendein Ausweg wird sich schon finden.
    Ella nickte tapfer und stimmte mir scheinbar gegen ihre innere Überzeugung zu.
    In Berchtesgaden stiegen wir in den Bus um und fuhren die letzten Kilometer zum See. Das Hotel lag direkt am Ufer, das Zimmer lautete auf das Ehepaar Professor Oftenhain. Ich hatte Frau Benz, die im Sekretariat für meine Belange zuständig war, gebeten, dort anzurufen und das Gespräch dann an mich durchzustellen. Mit der Autorität unseres Instituts, meines Titels und einer Lüge gelang es, bei dem Rezeptionisten ein Doppelzimmer zu buchen. Die bayerische Hotellerie nahm es nach wie vor mit dem Kuppeleiparagrafen sehr genau.
    Ein Portier erwartete uns an der Haltestelle und lud unser Gepäck auf einen Karren. Hier oben war im Spätherbst bereits schneidende Kälte aufgezogen. Die Luft war klar und die jahreszeitlich tief im Süden stehende Sonne zeichnete lange Schatten, ließ aber die Farbpalette des Uferbewuchses von Rostrot bis Ocker erstrahlen. Im Hotel herrschte die anschmiegsame Wärme eines holzbeheizten Kachelofens, der zentral vom Empfangsraum aus Gaststube und Zimmer versorgte. Von unserem Balkonzimmer hatte man einen Blick weithin über den See, bis zu den russisch-barock anmutenden Zwiebeltürmen von St. Bartholomä und dem mächtigen Watzmann, der sich dahinter erhob.
    Der schöne Ort verfehlte seine Wirkung nicht, eine gelassene Stimmung machte sich bei uns breit, vor allem fühlten wir uns von dem Zwang entlastet, reden zu müssen. Wir tranken unten in der Stube noch einen Tee und entschlossen uns dann, mit dem Schiff nach St. Bartholomä aufzubrechen, um von dort aus einen Spaziergang zu unternehmen.
    Wir waren die einzigen Fahrgäste. Ella fasste nach meiner Handund legte ihren Kopf an meine Schulter. Der See mutete wie ein abgelegener Fjord an. Stille senkte sich herab und wob uns so dicht ein, als habe die Natur beschlossen, uns hier zu verkapseln. Eine leise Ängstlichkeit erfasste mich, ich schätzte die zurückgelegte Strecke ab und überlegte, ob man schwimmend ein Ufer erreichen könnte. Ich begann einen eigenartigen Sog zu spüren, den die Untiefe dieses Gewässers wie eine magnetische Anziehung ausübte. Im letzten Jahr war ein Fahrer, der sich mit seinem Wagen auf die damals geschlossene Eisdecke gewagt hatte, durchgebrochen und für immer im See verschwunden. Verstandesmäßig betrachtet war es gleichgültig, ob ein Toter zwanzig oder hundertachtzig Meter tief auf Grund lag, aber die Vorstellung des Bodenlosen raubte einem die Zuversicht, ein beherrschbares Element unter sich zu haben. Der Elektromotor surrte unruhig, Wellen klatschten gegen den Kiel und schaukelten das Boot auf und ab. Obwohl ich die Zeiten nachgesehen hatte, fragte ich den Schiffer nochmals, wann die letzte Fahrt von St. Batholomä abgehe. Alles schien gut, wenn etwas auf uns lastete, dann konnte es nur das Ungesagte zwischen Ella und mir sein.
    In St. Bartholomä angekommen, gingen wir in Richtung der Watzmann-Ostwand. Ella hatte meine Hand nicht losgelassen, ich spürte ihre Unruhe und fühlte eine Klammer um meine Brust, die mich kurzatmig machte. Plötzlich wurde mir klar, dass noch etwas Unerwartetes bevorstand. Ella tupfte mit dem Taschentuch in ihren Augenwinkeln, ich wusste, dass sie endlich weinen wollte, hatte aber nicht die Kraft, ein erlösendes Wort zu sagen.
    Endlich war es so weit. Die Tränen liefen ihr herunter, sie umfasste meinen Hals und lehnte sich an mich.
    – Es wird schon gut, wir lieben uns doch, sagte ich.
    Meine Stimme klang, als sei sie nicht meine.
    – Ich bin schwanger, brach es aus ihr hervor.
     
30.
    Ellas Geständnis warf sämtliche Überlegungen über den Haufen. Das Ungeborene drängte alle anderen Befindlichkeiten in den Hintergrund und bildete den neuen Mittelpunkt, um den unsere Vorstellungen kreisten. Ich war freudig erregt und sagte Ella, dass ich zu ihr und dem Kind stünde und alles

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