Der Tod bin ich
drauf und dran war, sich auf eine schon im Ansatz verfehlte Sache einzulassen. Er verwünschte seine Neugier, die ihn dazu getrieben hatte, Joe in den USA anzurufen. Sicher war auch ein Stück weit Grausamkeit im Spiel gewesen, zuzusehen, wie sich der rabiate Kerl wand, als mit der Umdeutung dieser uralten Geschichte plötzlich ein Toter zum Leben erweckt wurde. Dass sich diese ungute Aufwallung so postwendend rächen würde, hatte er nicht für möglich gehalten. Natürlich war Fred begierig darauf zu erfahren, welche neue Wendung der Fall Oftenhain nehmen würde. Vorderhand bedeutete das, als Salantinos Verbündeter agieren zu müssen.
Er fragte sich, ob er Joe nach fast vierzig Jahren noch wiedererkennen würde. Als er dann aber nach der Landung seines Fliegers am Gepäckband stand und auf seinen Koffer wartete, gab die automatische Tür, die sich kurzzeitig öffnete, den Blick auf einen sehnigen alten Herrn frei, der die blau-gelbe Basecap der
Michigan Wolverines
trug, und schon da war jeder Zweifel verflogen. Auch Joe steuerte ohne zu zögern auf ihn zu, als er mit seinem Koffer in die Warte halle trat. Die beiden alten Herren pflegten bei ihrer Begrüßung keinen von Verzärtelung angekränkelten Stil, sondern klopften einander kräftig den Buckel ab. Joe hatte einen hochbeinigen Toyota Land Cruiser gemietet. Für Fred war zunächst ein Zimmer in der
Alpenrose
reserviert, alles Weitere würde sich dann ergeben.
Dort saßen sie dann im Wirtsgarten unter einer Kastanie. Eine Bedienung im Dirndl servierte ihm Tee. Joe starrte auf das Dekolleté, das sich beim Absetzen des Tabletts vor seinen Augen herabsenkte. Fred rührte in seinem Teeglas und blickte skeptisch auf die vor ihm liegende Zitronen-Schnitzpresse, in der das gelbe Fruchtstück wie in ein mittelalterliches Foltergerät eingespannt lag.
– Eines geht mir schon die ganze Zeit im Kopf um, woher wusstet ihr eigentlich, dass es sich bei dem Toten um Oftenhain handelt?
Fred orderte Milch und dachte währenddessen nach. Auch Gilbert hatte danach gefragt. Die
Clerkies
trafen sich wie immer in der
Temple Lounge
in der Nähe des St. Matthew’s College. Er war an dem betreffenden Tag etwas später dazugestoßen und meinte sich daran zu erinnern, dass Colin, der damals an der Aktion beteiligt gewesen war, ihn darauf ansprach. Jedenfalls erörterten sie den Fall. Natürlich erweckte jeder von ihnen gerne den Eindruck, über nach wie vor exzellente Verbindungen und Informationskanäle zu verfügen, zu den strikten Regeln gehörte jedoch, dass keiner den anderen festnagelte. Man räumte sich die Möglichkeit ein, alles zum Thema zu machen, und so wurde Neues, gleichgültig, ob Gerücht oder Tatsache, im Plauderton vorgebracht. Ob man auch schon dieses oder jenes gehört habe? Ob wahr sei, was man sich erzähle? Damit konnte alles zirkulieren, was die
Clerkies
neugierig gemacht hatte. Und genau so war die Sache mit Oftenhain ins Spiel gekommen.
– Gute Frage. Offen gesagt: Ich habe keine Ahnung, aus welcher Ecke die Information kam. Keiner von uns ist noch aktiv im Dienst, aber jeder hat so seine Kontakte zu Vauxhall. Sicher ist, dass unsere Leute die Rosenholz-Dateien der Staatssicherheit auf offene Fälle hin geprüft haben. Überläufer, Doppelagenten, Lockvögel – zu allem findest du da Hinweise. So wurde Oftenhain herausgefischt.
– Wo liegen diese Dateien?
Fred lachte.
– Bei euch in Langley.
Joe zwirbelte die Haare, die aus seinen Ohren wucherten.
– Ist komplett an mir vorbeigegangen.
– Vor zwei Jahren wurden die Daten Berlin übergeben.
– Wer kommt an diese Kartei ran?
– Im Prinzip jeder. Zugang haben Betroffene, deren Verwandte, aber auch alle, die sich aus irgendwelchen Forschungsgründen dafür interessieren.
– Machst du Scherze?
– Warum sollte ich?
Joe betrachtete Fred. Sein ohnehin schmales Gesicht war noch magerer geworden, das graue Haar wirkte schütter, der Scheitel allerdings war immer noch so tief angesetzt wie früher. Diese Furche hielt ein Leben lang. Joe zerteilte den Rest des Käsekuchens auf seinem Teller und schob sich das Stück in den Mund.
– Sein Tod ist bislang nicht aufgeklärt. Weil sie kein Motiv finden, das mit seiner Tarnexistenz zu tun hätte. Alles deutet darauf hin, dass der Mörder wusste, wen er vor sich hatte. Siehst du das auch so?
Fred nickte.
– Seltsam ist die Sache mit seiner Weltformel. Sie ist nirgendwo aufgetaucht und hat auch keinen indirekten Einfluss ausgeübt. Könnte es
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